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Der Todesbote

Der Todesbote

Titel: Der Todesbote
Autoren: Jaques Buval
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ihm geschieht und wie er darauf zu reagieren hat.
    Er will dem Beamten etwas sagen, doch der unterbricht ihn barsch: »Sie haben lange genug geredet. Jetzt ist die Zeit angebrochen, wo nur noch wir sprechen. Haben Sie das verstanden, Onoprienko? Ab sofort gibt es keinen Menschen mehr, der sich für Ihre Weisheiten interessiert. Sie sind ab sofort ein rechtskräftig verurteilter Strafgefangener und kein Untersuchungshäftling. Nun gilt es, Ihre Strafe zu verbüßen –
    in aller Härte, die das Gesetz erlaubt und sonst gar nichts.
    Haben Sie mich verstanden, Strafgefangener Onoprienko?«
    Er möchte gerne antworten, doch er kommt nicht mehr dazu.
    »Beide Hände nach vorne«, der nächste Befehl. Onoprienko folgt den Anweisungen wortlos. Er streckt seine Hände dem Beamten entgegen und vernimmt nur noch das Klicken einer weiteren Handschelle an einem seiner Arme. Der Beamte legt sich die zweite Handfessel an und zieht ihn förmlich aus der Zelle des Wagens. Beide schreiten durch ein Spalier von Polizisten zum Zellentrakt. In Zweierreihen folgen die Polizisten diesem ungleichen Paar.
    Anatolij Onoprienko nimmt alle Schikanen wortlos hin. Fast demütig trottet er neben dem Beamten her.
    Beide betreten die Kleiderkammer des Hochsicherheitstraktes.
    »Ausziehen, Onoprienko«, der nächste ausgegebene Befehl.
    Dabei reißt ihm der Beamte die selbst gestrickte Mütze vom Kopf und wirft sie dem Häftling vor die Füße.
    »Jetzt sind wir die Henker und nicht mehr Sie«, erhält er als Begründung, und Onoprienko nimmt es wortlos zur Kenntnis.
    Onoprienko steht nun völlig nackt in dem Raum.
    »Ich werde Ihnen nun zeigen, dass Sie der Arsch der Nation sind«, herrscht man ihn an.
    Wie ein Haufen Elend steht der meist gefürchtete Mann dieses Landes in diesem Raum. Nackt, ohne eine Waffe, die ihm in der Vergangenheit so viel Selbstbewusstsein verliehen hat. Alle aufgestauten Aggressionen der Beamten aus der Zeit, als er noch Untersuchungshäftling war, scheinen sich nun über ihn zu entladen. Ihn zu demütigen ist das erklärte Ziel.
    »Bücken«, ein Wort, das Horror in den Ohren der Gefangenen auslöst. »Nun sehen wir mal nach, ob wir nichts Unerlaubtes versteckt haben«, teilt ihm der Beamte mit und zieht sich die Gummihandschuhe über.
    Onoprienko weiß, dass er nun eine erniedrigende, unangenehme Untersuchung und Schmerzen erdulden muss.
    »So, und jetzt die Spezialkleidung für den ›Herrn‹, lacht der Beamte nach getaner Arbeit, und streift den Handschuh von der Hand. Eigentlich eine unangenehme Arbeit für die Beamten, aber bei diesem Gefangenen muss sie dem Aufseher Freude bereitet haben. Dies ist an seinem Gesichtsausdruck deutlich zu erkennen.
    Laut krachend wirft man die Spezialkleidung für Todeskanditaten auf den Tisch vor Onoprienko. Ohne ein Wort zieht er sich die Kleidung über. Er ist sich bewusst, dass keiner außer ihm in den letzten Jahren diese Kleidung tragen musste.
    Einer der Beamten erinnert sich: »Meist trugen die Gefangenen die Todeskleidung nur wenige Stunden. Sie wurden nach der Gerichtsverhandlung zu uns gebracht, wir legten ihnen diese Kleidung an, und sie wussten, dass sie nicht mehr lange zu leben haben. Bei uns war es nicht so, wie es in Amerika praktiziert wird. Bei uns gab es zu keiner Zeit eine Henkersmahlzeit. In unserem Lande wurde die Strafe, wenige Stunden nachdem sie ausgesprochen war, vollstreckt. Bei vielen habe ich mich gefreut, wenn ich sie zu der Stelle bringen musste, die ihren Tod bedeutete. Aber manches Mal war ich mir nicht so sicher, ob die Todesstrafe wirklich angebracht war. Doch es war mein Job, den ich zu erfüllen hatte. Ich sah in viele Gesichter, die den Tod vor Augen hatten. Einige von ihnen haben aus Eifersucht ihre eigene Frau getötet. Andere wieder versuchten in einer ausweglosen Situation eine Bank zu überfallen. Als die Miliz eintraf, schossen sie aus Angst, geschnappt zu werden, wie wild um sich und töteten unschuldige Menschen. Sie alle hatten unheimliche Furcht davor, sterben zu müssen. Sie weinten, sie flehten, sie schrien um ihr Leben, um Gnade. Und allen war klar, dass es vergeblich war. Oft waren vier bis fünf Beamte notwendig, um den Todeskandidaten zum Schießplatz zu bringen. Sie wehrten sich mit Händen und Füßen. Es kam nicht selten vor, dass sie sich durch ihre vehemente Gegenwehr gegen die Handschellen die Handgelenke brachen. Manche warfen sich immer wieder zu Boden, bis man sie mit Gewalt an den Ort ihres Sterbens brachte.«
    »Nun
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