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Der Todesbote

Der Todesbote

Titel: Der Todesbote
Autoren: Jaques Buval
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haben Sie erneut einen Todeskandidaten. Sie haben einen Menschen in Gewahrsam, an dem die Todesstrafe vielleicht doch noch einmal vollzogen wird. Mit welchen Gefühlen würden Sie ihn auf seinem letzten Gang begleiten, wenn Sie dazu den Befehl erhalten würden?«
    »Sie meinen Anatolij Onoprienko?«, fragt er erstaunt. »Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass unser Staatspräsident sein Wort im Falle Onoprienko durchsetzen kann. Es wird nicht leicht sein. Aber ich hoffe es sehr. Ich würde sofort meinen freien Tag opfern, um diese Bestie zu dem Ort zu bringen, an dem er seine gerechte Strafe erhält. Eigenhändig würde ich die Holzkiste, in die er nach der Exekution gelegt wird, zur Grube bringen und ihn hinunterwerfen. Mit den bloßen Händen würde ich die unschuldige Erde auf seinen Sarg schaufeln.«
    »Hassen Sie diesen Menschen so sehr?«, fragt man ihn provokativ.
    »Die Bilder seiner Opfer, besonders die der getöteten Kinder, konnten wir alle in den Zeitungen und in den Fernsehberichten sehen. Ich glaube, jeder, der Kinder hat und diese Bilder mit Schrecken zur Kenntnis nahm, würde genau so handeln wie ich. Für mich wäre es eine Ehre, diese Kreatur auf seinem letzten Gang zu begleiten. Dabei bin ich mir sicher, es würde mir Vergnügen bereiten, diesen Menschen sterben zu sehen. Lassen sie mich noch einmal wiederholen, ich würde mich freiwillig melden, wie die meisten meiner Kollegen.«
    »Sie haben so viele mehrfache Mörder kennen gelernt.
    Warum hassen Sie Anatolij Onoprienko so sehr?«
    »Weil er eine außergewöhnliche Bestie, ein Dämon ist und daher nicht vergleichbar ist mit all den Killern, die ich bisher erlebte. Alle Mörder, die wir bisher in diesem Hause hatten, versuchten bei uns Verständnis für ihre außergewöhnliche Lage zur Tat zu erreichen. Und diese Bestie Onoprienko rühmt sich noch seiner grauenhaften Taten. Er genießt das öffentliche Interesse, sonnt sich im Blitzlichtgewitter der Kameras und fühlt sich schon als Star. Und dem sollen Sie Essen und vielleicht eine neue Decke bringen? Glauben Sie denn, Ihnen würde das so leicht fallen?«
    »Denken Sie, Ihr Staatspräsident wird die angekündigte Todesstrafe für Onoprienko durchsetzen können?«
    »Ich hoffe, ja. Doch er hat es sehr schwer aufgrund der international abgeschlossenen Verträge, die eine Todesstrafe nicht zulassen. Wenn er es nicht erreicht, seinen Wunsch durchzusetzen, spielt dies für das weitere Leben Onoprienkos keine Rolle. Sie haben doch die Meinung unseres Gefängnisdirektors gehört – und der kann ich mich nur anschließen.
    Seine Tage sind gezählt. Und das weiß dieser kaltblütige Killer auch. Jedem der Beamten auf den Mauern und in den Wachtürmen würde es ein Vergnügen bereiten, diesen Gefangenen auf der ›Flucht‹ wie einen räudigen Hund abzuknallen.
    Verlassen Sie sich darauf, er erhält seine gerechte Strafe.«
    Onoprienko ist für die Bevölkerung der Ukraine und für die Beamten der Strafanstalt in Zhitomir ein Todeskandidat. Was die Vollstreckung der Todesstrafe angeht, wird für ihn vielleicht noch einmal eine Ausnahme gemacht. So lange bleibt er gebrandmarkt vor allen Gefangenen und Wärtern dieser Anstalt. Sie alle hassen ihn, denn er wurde durch seine monströsen Taten zum Star.
    Längst haben sich die schweren Schlösser an seiner Zellentür geschlossen. Acht Quadratmeter Einsamkeit sind zu seiner Welt geworden. Tag für Tag, für immer eingesperrt in der Höhle des Alleinseins, gekleidet in dem Anzug des Todes, der ihn von allen anderen Gefangenen unterscheidet. Unentwegt ist er der unbändigen Wut der Beamten und der Gefängnisinsassen ausgeliefert. Anatolij Onoprienko ist nun Tag und Nacht allein mit seinen Gedanken. Er hat keine Gesprächspartner mehr, denen er seine Weisheiten verkünden kann. Er hat nur noch sich selbst. In sich zusammengesunken verbringt er die ersten Minuten seiner Einsamkeit. Ohne Würde verbringt er nun jede Stunde seiner Tage, die ihm noch verbleiben. Schwere, gnadenlose Riegel und Schlösser sind hinter ihm eingerastet.
    Wenn er Glück hat, wahrscheinlich für immer. Für den Rest seines traurigen Lebens.
    Onoprienko zieht sich zurück in die Schatten der Gitter. Und auch der Journalist stellt keine Fragen mehr. Endlose Stille und ein schmerzendes Schweigen beherrschen seine karge Zelle.

Epilog
    In knapp drei Jahren, so die Ermittlungen der Polizei und der Staatsanwaltschaft, ermordete der zierlich und unscheinbar wirkende Anatolij Onoprienko in der
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