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Der Todesbote

Der Todesbote

Titel: Der Todesbote
Autoren: Jaques Buval
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Fast täglich fährt dieser graugrüne Transporter durch die Stadt, doch nie mit einer Eskorte. Man merkt schon an der Geschwindigkeit der Fahrzeuge und dem Fahrstil der Beamten, dass diese »Fracht« außergewöhnlich ist. Egal, welche Farbe die Ampeln anzeigen: Die Geschwindigkeit wird nicht verringert.
    Anatolij Onoprienko kann das Geschehen auf den Straßen nicht sehen. Er sieht nur sein Gegenüber. Offensichtlich hat sich sein Gemütszustand gebessert, und er will der Menschheit durch einen Journalisten ein letztes Mal seine Weisheiten kundtun. Er beginnt mit den letzten Ausführungen, die man ihm genehmigen wird: »Ein Hund ist klüger als ein Mensch.
    Der liebe Gott hat ihm mehr Freiheit gegeben als einem Menschen. Es sind nur Worte, dass der Mensch der Sohn Gottes ist; in Wirklichkeit ist er eingeschränkt. Er versteht das Leben gar nicht. Ich habe das Leben auch nicht verstanden, bis ich meinen ersten Mord begangen habe. Bis dahin habe ich gelebt wie eine dumme Ziege.«
    Anatolij Onoprienko wirkt nachdenklich. Wieder faltet er seine Hände wie zu einem Gebet. Er schüttelt den Kopf und vergräbt ihn in seinen Händen. Nachdenklich wirkt er jetzt.
    Noch immer versucht er seine Gefühle zu unterdrücken. Er will ein letztes Mal demonstrieren, dass ihn das Urteil nicht beeindrucken kann. Doch er weiß auch, dass nun die letzten Minuten angebrochen sind, um der Welt noch einmal seine abstrusen Weisheiten mitzuteilen. Der Zwiespalt seiner Seele ist deutlich in seinem Gesichtsausdruck zu erkennen.
    Man fragt ihn unverblümt: »Es sieht so aus, als würden Sie gleich weinen. Ist die Zeit des Nachdenkens angebrochen in Ihnen? Haben Sie noch etwas zu sagen, bevor sich die Türen zur Außenwelt und zur Öffentlichkeit für Sie für immer schließen werden?«
    Sichtlich nach Fassung ringend, versucht er noch einmal seine momentane Gemütsstimmung herunterzuspielen. Seine Antwort wirkt unglaubwürdig, aber typisch für diesen Menschen: »Wieso soll ich weinen? Man muss lachen. Man muss das Leben nehmen, wie es kommt. Ich fürchte mich vor nichts, was meine Zukunft angeht.«
    Dabei dreht er sich ganz nahe zum Gitter seines Abteils. Er will beweisen, dass keine Tränen über seine Wangen fließen.
    Dabei zeigt er bewusst ein unbewegtes Gesicht. Jedoch glaubt man zu sehen, dass unzählige trockene Tränen ganz im Verborgenen über seine Wangen laufen.
    »Wird die Welt wirklich erfahren, warum ich dies alles getan habe?«, fragt er nach.
    »Zunächst einmal in Deutschland, das kann ich Ihnen versprechen. Sollten sich für Ihr Leben und Ihre Taten auch andere Länder auf der Welt interessieren, ganz sicherlich.«

    Seine Antwort kommt prompt: »Sie müssen sich dafür interessieren. Mein Leben und meine Taten waren einmalig auf dieser Welt. Die ganze Welt muss darüber nachdenken, zumindest die intelligenten Menschen dieses Kosmos. Ich habe das alles doch nicht für mich getan, sondern für ihrer aller Zukunft.«
    Das Gespräch wird durch das Anhalten des Wagens unterbrochen. Längst hat man das Blaulicht ausgeschaltet. Die laut aufheulenden Sirenen verstummen.
    Anatolij Onoprienko merkt, dass er nun wieder vor den Gefängnistoren der Strafanstalt in Zhitomir, dem Schrecken aller Kriminellen, angekommen ist. Er hört, wie sich die riesige Stahltür öffnet, der Eingang zum großen Schweigen. Noch einmal versucht er, einen Blick in die Freiheit zu erhaschen, auch wenn es nur ein Blick auf den Parkplatz vor dem Gefängnis ist. Verzweifelt versucht er, die Freiheit noch einmal in sich aufzusaugen.
    Er merkt, wie der Wagen sich wieder in Bewegung setzt und bekreuzigt sich. Er vernimmt das Knirschen des Kiesbodens des Gefängnishofes. Nach nur wenigen Metern wird es ganz still.
    Der Wagen hält an einem Seiteneingang des mächtigen Gefängnisbaues, der direkt zu den Sicherheitszellen führt.
    Sechs Beamte des Gefängnisses erwarten ihn, den Killer der Nation. Man kann in ihren Gesichtern erkennen, mit welchen Emotionen sie auf diesen Mann gewartet haben.
    »Tür öffnen«, befiehlt ein leitender Offizier.
    Einer der Beamten betritt den Vorraum des Transporters.
    Grinsend blickt er Onoprienko ins Gesicht. Er öffnet die Zellentür und schreit ihn an: »Raus, Onoprienko, aber schnell!
    Jetzt gibt es keine Reisen mehr für Sie. Sie sind lange genug spazieren gefahren worden.«
    In diesem Ton hatte man in dieser Strafanstalt noch nie mit Onoprienko gesprochen. Er fährt erschrocken zusammen. Er weiß offensichtlich noch nicht, wie
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