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BE (German Edition)

BE (German Edition)

Titel: BE (German Edition)
Autoren: Katja Eichinger
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Im Beginn liegt das Ende
    AN dem Abend, als Bernd starb, fuhren wir in seinem alten, etwas verbeulten schwarzen Mercedes den Sunset Boulevard entlang in Richtung Westen. Wir befanden uns auf dem Weg zu Cecconi’s, einem italienischen Restaurant an der Kreuzung von Robertson und Melrose in West Hollywood. Es war eine schöne Nacht. Ein schwarzer Himmel über den Neonlichtern der Straße. Ich liebte das. Mich von Bernd in diesem gemütlichen alten Schiff herumkutschieren zu lassen, noch ein wenig mit ihm alleine zu sein, bevor das Abendessen mit seinen Leuten von der Constantin losging und die ganzen Meinungen und Unterhaltungen auf uns einprasseln würden. Irgendwo auf der Höhe des »Hustler«-Ladens – aus dem übrigens ein beträchtlicher Teil unserer DVD-Sammlung stammte – und der riesigen Billboard Poster einer Led Zeppelin Tribute Band, mussten wir an einer Ampel halten. Vor uns bog ein weißer Fünfziger-Jahre-Schlitten mit Haifischflossen und offenem Verdeck ab. Die Insassen waren mexikanische Hoodies, die sich in ihrem Auto wahnsinnig cool vorkamen. Ich sagte noch: »Schau mal, lauter mexikanische Bushidos…«
    »Ein weißer Impala!«, lachte Bernd leise. »In genau so einem bin ich mal fast gestorben!« Und dann tat er das, was ich noch mehr liebte, als mit ihm durch die Gegend zu fahren und die leuchtenden Bilder der Straße an mir vorbeiziehen zu lassen: Er erzählte mir eine Geschichte. Damals, Ende der Sechziger, gab es laut Bernd in Deutschland mit der Ausnahme von UFOs kein auffälligeres Fortbewegungsmittel als einen Chevrolet Impala. Gerade deswegen war der Impala – nomen est omen – vor allem bei Zuhältern beliebt, denn er war ein Magnet für Miniröcke auf zwei Beinen. »Der Impala gehörte einem Bekannten von mir … der war jetzt kein Zuhälter, eher so ein polizeibekannter Kleinkrimineller aus der Provinz.« Bernd ging damals auf ein Internat in München und war auf Elternbesuch in Neuburg an der Donau. »Und du kennst mich ja … ich hatte lange Jahre immer diesen Hang zum Rotlicht. Und so Typen kannte ich eben auch noch in Neuburg, obwohl ich schon längst in München war«, erzählte Bernd und bog nach links auf den Doheny Drive ab. Dieser führt vom Sunset Boulevard hinunter in die Talsenke von West Hollywood und Beverly Hills. Während ich also Bernds Geschichte zuhörte, fuhren wir hinein in diesen funkelnden Juwelenteppich von einer Stadt. Was letzte Autofahrten anbelangt, so kann man sich wahrscheinlich kaum eine schönere Strecke aussuchen.
    Aber zurück zu Bernds Geschichte: Der Impala-Besitzer war polizeibekannt und hatte wieder einmal seinen Führerschein entzogen bekommen. Deswegen saß Bernd am Steuer, mit dem Kleinkriminellen auf dem Beifahrersitz, als sie an den Dorfdiscos des Neuburger Landkreises vorbeizogen. »Plötzlich sieht mein Bekannter, wie seine Freundin in ’nem Auto mit ’nem anderen Typen vorbeifährt, rastet komplett aus und will, dass ich diesem anderen Auto hinterherrase. Ich hab ihm gesagt, das kann er vergessen. Ich bin doch nicht blöd und verliere meinen Führerschein, nur weil irgendne Provinzschlampe bei irgendnem Trottel im Auto sitzt und sein Ego das nicht verkraften kann.«
    Was folgte, war ein fliegender Fahrerwechsel und eine Verfolgungsjagd über die dunklen Landstraßen des Donautals. Verfolgter und Verfolger fuhren immer schneller, und die Hatz endete damit, dass der Kleinganove mit seinem Impala von der Landstraße abkam und frontal gegen einen Baum fuhr. »Der Impala war Schrott. Kompletter Totalschaden. Dass uns nichts passiert ist, war ein Wunder! Im Nachhinein denk’ ich natürlich: Ich war so ein Depp! Ich hätte ja auch einfach aussteigen können, anstatt diesen Neandertaler, der nur noch Rot gesehen hat, ans Steuer zu lassen und dann auch noch mit ihm durch diese dunklen Straßen zu kurven. Ich hab überhaupt nicht daran gedacht, dass das irgendwie gefährlich werden könnte!« Mittlerweile hatten Bernd und ich den Santa Monica Boulevard überquert und bogen links auf die Melrose Avenue ab. Vor uns lagen die mit bläulichweißen Lichterketten überzogenen Palmen, die vor der Einfahrt von Cecconi’s stehen. Ein Anblick wie aus 1001 Nacht, eins von Bernds Lieblingsbüchern. Anderthalb Stunden später war Bernd tot.
    Ich versuche mich immer wieder daran zu erinnern, dass Bernds Tod nur einen Wechsel seines Aggregatzustands darstellt. Anders wüsste ich nicht mit seinem Tod umzugehen. Bernd war nicht Filmemacher von Beruf, er war
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