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Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)

Titel: Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)
Autoren: Cordelia Borchardt und Andreas Hoh
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Nebenraum bin ich alleine. Wie erwartet, haben es sich die Spielermütter nicht nehmen lassen, ihren Beitrag zur Feier zu leisten. Unwillkürlich muss ich lächeln, als ich mir vorstelle, wie Monsieur L., unser Caterer, gottergeben versucht, die riesigen bunten Plastikschüsseln voller Kartoffel-, Reis- und Nudelsalat in seinem sorgfältig arrangierten Buffet zu verstecken.
    »Schatz, wo bist Du?«, kommt seine Stimme aus dem Nebenraum und ich zucke zusammen und lausche. Dann atme ich tief durch und beginne, mir den Teller vollzuladen, nehme von allem etwas. Das mag er nicht, es ist ihm peinlich. Handtasche auf, Gift über den Salat, Handtasche wieder zu. So einfach. Er kann mich ja in Ruhe lassen, dann wird ihm nichts geschehen.
    Aber er lässt mich nicht in Ruhe. Als ich in den großen Saal zurückkomme, winkt er mich zu sich. Ich ignoriere ihn, gehe einfach weiter, selbst, als er mit den Fingern schnipst, selbst, als es totenstill wird, als mich alle anschauen. Beim Fenster bleibe ich stehen und beginne zu essen, immer schön am Rand entlang, immer schön am Tod vorbei. Ich hebe den Kopf und lächle ihn kurz an. Einen Moment lang steht er stockstill, wie vor einem Elfmeter. Dann ist er auch schon bei mir und hat mir den Teller mit einem jungenhaften Lächeln abgenommen. »Oh, danke mein Schatz«, sagt er laut. »Lieb von Dir.« Er beginnt zu essen und ich stehe da und sage nichts. Mir ist mit einem Mal furchtbar schlecht. Er schaut mich an mit diesen schönen, grausamen Augen. »Wenn Du magst, kannst Du mir mal das Wasser reichen, ausnahmsweise«, matscht er mit vollem Mund und grinst und alle grinsen mit. In seinem Mundwinkel hängt ein kleines Stückchen grünes Gift. Ich schaffe es gerade noch bis zu den Toiletten.

    Später, im Stadion, sitze ich wie immer bei den Spielermüttern. Der Gegner ist unerwartet stark. Kurz vor dem Ende steht es 0:0. Mir ist immer noch schlecht. Ob vor Aufregung, vor Angst oder aus Mitleid, ich weiß es nicht. Dann, ein böses Foul, Freistoß für den Gegner. Mein Herz rast. Der Schütze legt sich selbstbewusst den Ball zurecht, nimmt Anlauf. Und dann begeht er den Fehler, den sie alle machen. Er schaut der Spinne in die Augen. Ich sehe, was er sieht, was die Spinne ihn sehen lässt, und weiß, dass er kein Tor schießen wird.
    Für einen Moment scheint der Schütze verunsichert, doch er nimmt entschlossen Anlauf und zieht durch. Ein guter Schuss. Die Spinne muss sich mächtig strecken, erreicht den Ball gerade noch mit den Fingerspitzen, fischt ihn im letzten Moment aus dem Netz, hat ihn sicher. Jubel bricht aus, die Spielerfrauen kreischen. Die Spinne liegt noch immer am Boden, die Füße im Netz verheddert, den Ball unter sich begraben. »Komm schon Spider, der Ball ist sicher. Auf geht's!«, ruft ihm ein Mitspieler zu. Doch Spider kann nicht aufstehen, Spider ist tot.
    Chaos bricht aus, viele Menschen laufen auf das Spielfeld, Hände legen sich auf meine Schulter, Menschen sprechen mit mir. Ich aber bleibe einfach nur reglos sitzen, bin für niemanden erreichbar. Dann, als ich den Notarzt sehe, wie er den Finger an den Hals meines Mannes legt, aufschaut und kurz mit dem Kopf schüttelt, sehe, wie seine Füße aus dem Netz befreit werden, wie er vom Feld getragen wird, stehe ich auf. Ich will zur Polizei. Mich stellen. Stattdessen falle ich um.

    Sie behalten mich einige Tage im Krankenhaus, obwohl mir nichts fehlt. Mir ist es recht, denn ich will nicht zurück in dieses kalte Haus. Ich will endlich gestehen und dann am liebsten gleich ins Gefängnis. In mein neues Gefängnis.
    Doch niemand kommt, um mich zu verhaften. Immerhin erfahre ich, dass es eine Untersuchung gibt, bisher ohne Erkenntnisse. Keiner weiß, woher der vergiftete Salat kam. Der Caterer schwört Stein und Bein, ihn nicht geliefert zu haben (»Nudelsalat, Bärlauch – ich bitte Sie. Das ist nicht unser Niveau.«), keine der Spielermütter hat Bärlauch verwendet (»So einen modischen Schnickschnack gibt es bei uns nicht.«).

    Endlich geht die Türe auf, ein Mann kommt herein und stellt sich als Kommissar Römer vor. »Gut, dass Sie endlich da sind«, sage ich erleichtert. »Ich muss etwas loswerden.« Er schaut mich aufmerksam an, und ich sehe, dass er gute Augen hat, kluge Augen. Schließlich kramt er ein Notizbuch heraus. »Eines nach dem anderen«, sagt er und als ich protestieren will, »wir müssen zuerst ihre Personalien aufnehmen, dann sehen wir weiter.« Er scheint es nicht eilig zu haben. Sorgfältig,
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