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Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)

Titel: Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)
Autoren: Cordelia Borchardt und Andreas Hoh
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lädt wieder ein Foto hoch. Die Locke des Profilfotos stammt offenbar wirklich von ihr. Nur dass ihre Haare mit einem Band gezähmt wurden. Ich mag es, wenn Frauen nicht auf Hasch-mich, ich-bin-der-Frühling machen.
    Irgendwann, nachdem sie zwei Tage nicht online war, tippst Du dann
Ein Leben ohne deine Postings ist fast undenkbar
.
    »vielleicht treffen wir uns mal bei andy – zu einem verbalen posting in echtzeit …«, schreibt Melitta zurück. Die drei Punkte sind eine Verheißung. Jetzt ist es Zeit, ins Séparée umzusteigen und sich geschützt vor fremden Blicken via Postfach auszutauschen.
    An manchen Tagen schreiben wir zehnmal und öfter hin und her. Abgesehen von ihrem Gartenfaible weiß ich mittlerweile, dass sie ihren Kater sehr liebt. Offenbar wohnt sie allein. Sie verschenkt sich eben nicht an den Erstbesten. Eine Frau wie geschaffen für mich. Nur das mit dem persönlichen Treffen, das möchte ich noch hinauszögern. Ich lese mich stattdessen in die Psychologie der Katzen ein, damit ich qualifiziert über meinen fiktiven Kater Jimmy berichten kann.
    Ehrlich, das ist Liebe. Ich hasse Katzen nämlich. Ich bin allergisch auf diese Viecher.
    Melitta wirkt fürsorglich und verantwortungsbewusst. Als kaufmännische Angestellte in einem Modehandel muss sie das wohl auch sein. Ich mag das. Aber ich muss mehr von ihr wissen. Je länger ich darüber nachdenke, umso klarer wird mir, dass ich sie auf eine Probe stellen muss. Der Mensch ist ein fehlbares Wesen. Er lügt, wenn er mit der Wahrheit nicht mehr weiterkommt, und er stiehlt, wenn niemand hinsieht. Nur mehr diese kleine Hürde trennt mich von Melitta.
    Ich nehme das Foto eines Lehrlings. Ein gutaussehender Bursche. Ich musste ihn vor 7 Jahren rauswerfen, weil er nebenbei mit Potenzpillen aus dem Internet zu dealen begann. Ich nenne ihn Aurelio und lege sein Profil in Facebook an. Sein Porträt zeigt nur seine schönen grünen Augen mit den langen schwarzen Wimpern. Laut Profil ist er nicht der geheimnisvolle Zurückhaltende, sondern ein Draufgänger. Ein Fallschirmspringer und Mountainbiker. Ab und zu macht Aurelio bei einem Triathlon mit. Das braucht er als Ausgleich zu seinem Job als Junior-Texter in einer Werbeagentur.
    Ich bin Aurelios erster Freund. Schnell sammelt er ein paar Freunde aus meinem Umfeld. Das ist nicht schwer. Es sind vor allem Mitarbeiter aus meiner Apotheke. Aber ein Werber hat viele Freunde. Also müssen wir vorher auch noch die Freunde der Freunde einsammeln, bis wir wenigstens 60 beisammen haben. Das sind noch immer wenige für einen jungen Mann wie ihn. Die Ausrede: Aurelio ist gerade von einer Weltreise zurückgekehrt und steigt erst jetzt so richtig ein ins soziale Netz.
    Nun ist es Zeit, meinen Versuchsballon Aurelio vor Melittas Nase steigen zu lassen. Es dauert keine zwei Stunden, und Aurelio zählt zu Melittas Freunden. Zuerst einmal sucht er nach Tipps für Mountainbiketouren in Melittas Nähe. Ich hab mich nicht getäuscht. Sie lässt den angeberischen Schönling hängen. Offenbar wirft sie sich fremden Menschen nicht an den Hals.
    Tags darauf sehe ich Melittas Routenvorschlag auf Aurelios Pinnwand. Daran ist nichts auszusetzen. Melitta ist hilfsbereit und trotzdem zurückhaltend. Ich mag das.
    Aurelio fragt natürlich nach, ob Melitta die Strecke schon selber abgefahren ist usw. Sie kommen ins Gespräch, ins virtuelle. Schließlich Aurelios Frage, ob sie die Tour nicht mitmachen möchte. Das sei ihr dann doch zu steil, meint Melitta. Aber wenn er nach der Abfahrt durstig sei: Ein Bier könne sie ihm als Wegzehrung anbieten.
    Das ist nicht mehr die Zurückhaltung, die ich schätze. Blöderweise verletzt sich Aurelio bei einem Fallschirmsprung am Knöchel. Er muss die Tour absagen. Aber vielleicht darf er später mal auf das Bier zurückkommen?
    Unvermittelt steigt Melitta auf das elektronische Séparée um. Sie schickt Aurelio eine Privatnachricht. Ohne ihm nahe treten zu wollen – wie das sei mit Tandemsprüngen?
    »Ein Tandemsprung«. Meine zuvor so bedachtsame Melitta.
    Ich rufe bei ein paar Vereinen an, um mehr über das sinnlose Abenteuer zu erfahren, und schreibe dann wieder als Aurelio zurück. En passant erwähnt Aurelio, dass sie mir, seinem Freund Kai, das bitte nicht erzählen soll. Ich sei da eher rational.
    »nett, aber ein langeweiler«, schreibt Melitta zurück. »ich fürchte, kai widmet sich vor allem seinem kater Jimmy und dessen entwurmung.«
    Und das nach allem, was ich für sie getan habe. Ich habe
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