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Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)

Titel: Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)
Autoren: Cordelia Borchardt und Andreas Hoh
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verstehen, jedenfalls weigerte er sich strikt, mir deine Daten zu nennen. Damals stand ich kurz vor der Verzweiflung. Alle Wege schienen versperrt.
    Wie die Griechen vor Troja in Homers Epos musste ich einsehen, dass alle konventionellen Möglichkeiten erschöpft waren. Etwas völlig Neues, etwas, dass du nicht erwarten würdest, musste erdacht werden. In dieser Zeit ersann ich meinen Plan. Das Internet hatte mich damals dir ausgeliefert, nun war es an der Zeit, dass es seine Schuld abbezahlte und sich mit mir verbündete.
    Zuerst musste ich jedoch lernen, mit dem Netz umzugehen. Ich erkaufte mir die Bindung mit dem kostbarsten Gut, das ich noch besaß: Zeit.
    Tage- und -nächtelang verbrachte ich Kaffee trinkend vor meinem Computer und wälzte Nachschlagewerke. Schritt für Schritt pirschte ich mich einen Weg entlang, der vorbei an IP -Adressen, Skripten, Webspace und Datenbanken führte.
    Nach mehreren Wochen, in denen meine Ernährung vorwiegend aus Pizza, Kaffee und Virenhemmer bestand, war das Werk vollendet: Ich hatte mein eigenes philosophisches Forum geschaffen. Es dauerte nur kurze Zeit, bis sich die ersten Besucher als Forenmitglieder anmeldeten.
    Ich begrüßte jeden einzelnen User ausführlich und liebevoll, kommentierte eifrig alle Beiträge, schlug Themen vor, veranstaltete Wettbewerbe und hatte damit binnen eines halben Jahres eine Seite aus dem Boden gestampft, die eine breite Anerkennung im Netz bekam und genoss. Ich hatte einen Köder ausgelegt und nach langem Warten, Bangen und Hoffen geschah es: Du hast dich angemeldet!
    Hast du dich jemals gefragt, was eigentlich passiert, wenn du in einem Forum auf das kleine, unschuldige Knöpfchen »Passwort ändern« klickst? Überall wird dieser Service angeboten, so dass man seine automatisch zugewiesene, kryptische Zeichenfolge in ein Wort verwandeln kann, das wesentlich besser zu merken ist. Aber was geschieht eigentlich damit? Auf jeder ordentlichen Internetseite, die von einem gewissenhaften Administrator angelegt worden ist, wird das Wunschpasswort verschlüsselt abgespeichert. Bei meiner Homepage aber bestand ein winziger Unterschied: Bei mir wurden die geänderten Passwörter unverschlüsselt abgespeichert. Ein Knopfdruck genügte, und ich konnte die geheimen Codewörter bequem auslesen.
    Du fragst dich, was das bringen soll? Der Zugang zu deinen Daten stünde mir als Eigentümer doch sowieso offen? Nun, das Entscheidende damals war, dass du wie fast alle Surfer im Netz den Aufwand scheutest, zu jedem Forum, zu jedem Onlineshop und zu jedem E-Mail-Konto ein gesondertes Passwort anzulegen. Wie viel bequemer ist es doch, sich nur einen Begriff zu merken und diesen überall zu verwenden.
    Begreifst du nun, was passiert ist? Meine Falle hatte zugeschnappt und dich dazu gebracht, mir einen Schlüssel zu geben, mit dem ich alle Tore des Internets in deinem Namen öffnen konnte. Und gleichzeitig hatte ich damit einen Zugang zu deinen geheimsten Archiven.

    Als ich dein Zauberwort zum ersten Mal las, fühlte ich mich, als hätte ich ein magisches Schwert aus einem Felsen gezogen, mit dem ich auf die Jagd gehen könnte. Nur mühsam konnte ich meine Ungeduld zähmen. Am liebsten hätte ich sofort versucht, dein E-Mail-Postfach zu öffnen. Doch ich wollte auf Nummer Sicher gehen. Ich durfte keine Datenspuren hinterlassen! Darum ging ich digitale Umwege über diverse anonymisierende Webseiten.
    Schweißgebadet saß ich dann mitten in der Nacht vor dem Bildschirm. Zweimal vertippte ich mich mit meinen zittrigen Fingern und war kurzzeitig vor dem Verzweifeln, als die Zugangsparameter als falsch zurückgewiesen wurden. Beim dritten Versuch jedoch öffnete sich das Portal und ich trat mit Herzklopfen ein, wie Ali-Baba in die Schatzkammer der vierzig Räuber. Ich war in die Höhle des Löwen eingedrungen und konnte seelenruhig alles betrachten. Allerdings musste ich schnell feststellen, dass dies nicht das Märchen der Sheherazade war und in deinen Töpfen weder Gold noch Silber warteten.
    Offenbar war ich nicht die einzige Frau gewesen, die du im Netz kennengelernt und verführt hattest. Mit einer Mischung aus Bewunderung und Ekel fand ich einen akkurat gepflegten Katalog deiner Korrespondenzen vor. Wie kleine Trophäen stapelten sich in zig Verzeichnissen die Schriftwechsel, fein säuberlich nach Namen deiner Opfer sortiert. Bei manchen warst du offenbar noch in der Verführungsphase, schriebst ihnen Zeilen des Lobes, hobst sie in den Himmel und versuchtest sie
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