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Der Tod Verhandelt Nicht

Der Tod Verhandelt Nicht

Titel: Der Tod Verhandelt Nicht
Autoren: Bruno Morchio
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er.
    »Vor allem viel auf einmal.«
    »Vor zehn Jahren.«
    »Vor zwölf, um genau zu sein.«
    »Er ist Ende der sechziger Jahre ausgewandert«, begann er zu erzählen. »Nach Südfrankreich. Jetzt müsste er so um die Siebzig sein. In meiner Kindheit fuhr er ein riesiges weißes Auto. Nach Tertenia ist er ziemlich genau vor zehn Jahren zurückgekommen. Mit einer französischen Ehefrau und einem ansehnlichen Kapital. Er hat sich ein Haus am Fuße des Nuraghen bauen lassen und begonnen, Land zu kaufen. Hier in Sarrala und im Dorf, in Tertenia. Aber auch in Richtung Cagliari, in Villaputzu und Muravera. Weideflächen, Korkeichenhaine und Hänge voller Reben. Alles Land, das er von einem ganzen Heer Tagelöhner, Hirten und ein paar Halbpächtern bestellen lässt.«
    »Sag mir, wie er heißt!«
    »Otello Ganci. In der Vergangenheit haben die Leute einiges über ihn erzählt. Aber du weißt ja, wie das hier auf der Insel ist. Wer viel Geld hat, der hat den Respektder anderen und kann sich einige Vorteile sichern, aber er zieht zwangsläufig auch Neider an.«
    »Wo kann ich ihn finden?«
    »Er lebt abgeschieden in seiner Villa, und manche sagen, er sei sehr krank. Aber seine Frau kommt jeden Morgen an den Strand, direkt hier vorm Haus.« Auf seinem Gesicht zeigte sich nun ein leicht maliziöser Ausdruck. »Sie heißt Martine.«

Am Strand
    Am Morgen weckte mich das Meer. Sanft brandete es in der Ferne ans Ufer und ließ kaum hörbar seinen Atem vernehmen. Es war schon nach neun, und ich fühlte mich wie neugeboren, froh, in Sarrala zu sein. Der Kühlschrank war gut gefüllt; es war sogar Ziegenmilch da, die ich abkochte und mit Genuss zum Frühstück trank. Einer der Schwager von Virgilio Loi war Hirte und versorgte ihn regelmäßig mit frischer Milch und Ricotta. Von dem Schafsfrischkäse genehmigte ich mir gleich zwei große Löffel, ehe ich den Espressokocher auf die Herdplatte stellte, um mir einen starken schwarzen Kaffee zu brauen.
    Ich dachte an das köstliche Abendessen, das uns Angelica Loi am Abend zuvor serviert hatte. An die
culurgionis
, mit Kartoffeln, Käse und Minze gefüllte Nudelteigtaschen. An den geschmorten Lammbraten. Und an das trockene
pane pistoccu
mit
caglio
, einemKäse aus der Region, der mithilfe von Lab aus dem Magen eines unmittelbar nach dem Trinken der ersten Muttermilch getöteten Zickleins heranreift. Die Köstlichkeiten spülten wir mit zwei Flaschen schönem, reifem Cannonau und einer halben Flasche torfigem Whisky hinunter. Es sah ganz so aus, als sollte ich recht behalten: Die drei Flaschen Lagavulin, die ich meinem alten Freund geschenkt hatte, würden nicht lange halten. Außerdem hatte ich noch ein Glas Pesto Genovese mitgebracht. Angelica und ihre Tochter Laura waren total verrückt danach. Mein Freund René, der Crêpe-Koch, den alle wegen seines Feuereifers, den er beim Fischen an den Tag legt, »
il capitano
« nannten, war ein echter Profi und zauberte sein Pesto nach allen Regeln der Kunst.
    Auf der Toilette las ich noch schnell das letzte Kapitel des Buches, das ich auf die Reise mitgenommen hatte, eines exzellenten Krimis aus den Siebzigerjahren. Er handelte von einem ziemlich heruntergekommenen Privatdetektiv, der mit einem alten, alkoholabhängigen Schriftsteller sowie einer vom Bier aufgedunsenen Bulldogge zu tun hatte und nach einer Frau suchte, die vor zehn Jahren verschwunden war. Die Mutter der Frau zahlte ihm siebenundachtzig Dollar dafür, dass er ihre Tochter aufspürte. Nach zehn Jahren. Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, wieso in Amerika Privatdetektive weniger verdienten als Putzfrauen. Ob das eine Art bitterböse Ironie des Buchmarkts war oder eher an der puritanischen Gesinnung der Autoren solcher Geschichten lag? Doch dann fiel mir ein, dass auch meine Tochter seit zehn Jahren aus meinem Lebenverschwunden war. Das versetzte mir wieder diesen Stich mitten ins Herz. Ich musste niemanden dafür bezahlen, dass er sie suchte. Ein Anruf würde genügen – wenn sich nur ihre Mutter nicht so querstellen würde.
    Ich weiß nicht, warum ich das tat, aber auf einmal sprang ich auf und rannte splitternackt ins Schlafzimmer, um mein Handy zu holen. Im Bad setzte ich mich noch einmal auf die Kloschüssel und suchte die Nummer. In all den Jahren hatte ich tunlichst darauf geachtet, sie nicht versehentlich zu löschen. Ich handelte intuitiv und ohne groß darüber nachzudenken. Nach nur wenigen Sekunden Wartezeit ertönte ihre Stimme. Sie klang kristallklar. Frisch wie
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