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Der Tod Verhandelt Nicht

Der Tod Verhandelt Nicht

Titel: Der Tod Verhandelt Nicht
Autoren: Bruno Morchio
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Meer und den Bergen, kannte ich wie meine Westentasche. Weinberge erstreckten sich zwischen Hainen aus Eukalyptusbäumen, Korkeichen, Kaktusfeigen und dem Schilfrohr, welches das Kiesbett der ausgetrockneten Wildbäche säumte. Am Horizont die Umrisse der Berge, die ins Meer hinabzustürzen schienen. Dahinter duckte sich die Küste von Sarrala, der der Mistral im Schutz der Felsen nichts anhaben konnte. Nur der letzte Abschnitt der Straße war neu gemacht. Ein Tunnel, ähnlich dem des Mont Blanc, durchbohrte jetzt den Fels und ersparte den Autofahrern die abenteuerlichen Kurven. An der Ausfahrt Tertenia verließ ich die Bundesstraße.
    Es war drei Uhr nachmittags, und auf der Straße war kein Mensch zu sehen. Der Ort sah aus wie eh und je, mit den teils unverputzten Ziegelhäusern, die dicht gedrängt entlang der Hauptstraße standen. Die ewige Unfertigkeit Süditaliens, des Südens aller Länder der Erde. Eine der Eigenschaften, die den unüberwindbaren Gegensatz zwischen den zwei Lagern verkörpern, in die diese Welt geteilt ist. Mit der Zeit hatte ich gelernt, dass die Menschen hier die Improvisation gar nicht wahrnahmen und auch keine Probleme damit hatten. Dort, wo man dem Schicksal seinen Lauf ließ, zählte einfach nur die Gegenwart.
    Deshalb war ich auch nur mit einer kleinen Tasche angereist, die ich auf dem Gepäckträger festgeschnallthatte. Vor der erstbesten Bar stieg ich von der Vespa und nahm den Helm ab. Ein paar junge Hirten in schwarzen Hemden, festen schwarzen Zwillichhosen und schweren Bergschuhen standen davor und tranken Bier. Ihre Haut war sonnenverbrannt, das Haar pechschwarz, die Bärte waren ungepflegt und stoppelig. Sie musterten mich mit dem gleichen entgeisterten Ausdruck, mit dem sie wohl auch einen Marsmenschen bedacht hätten. Nur einer von ihnen schien mich zu erkennen und deutete einen Gruß an.
    Drinnen, wo die Luft abgestanden und nach kaltem Rauch roch, saßen die ewig gleichen alten Männer mit ihrer
coppola
auf den Köpfen schwadronierend an den Tischen. Der Wirt, ein fast kahler, kleiner Mann mit unglaublich dunkler Haut und dichten grau melierten Augenbrauen, die ihm ein teuflisches Aussehen verliehen, schien mich wiederzuerkennen.
    »Na, auch wieder auf Urlaub hier?«, fragte er, während er mir einen Espresso machte.
    »Urlaub und Arbeit. Beides.«
    Wortlos stellte er mir den Kaffee hin.
    »Ich bin hier, weil ich jemanden suche.« Ich sprach absichtlich laut, denn ich wollte, dass mich alle hörten.
    Er nickte kaum merklich, während er Espressotassen und Gläser in dem Edelstahlbecken spülte.
    »Einen jungen Mann aus Genua, der seit ein paar Wochen verschwunden ist. Sein Vater ist davon überzeugt, dass er hier ist, und hat mich hergeschickt, damit ich ihn suche.«
    Aus der Hosentasche zog ich ein Farbfoto und zeigte es ihm. Es war ein ziemlich aktuelles Bild von ValentinoSanna. Er sah sehr jung darauf aus und schaute etwas verloren und mit dem leeren Lächeln eines Heroinabhängigen in die Kamera.
    Der Barmann warf nur einen flüchtigen Blick darauf.
    »Und warum soll der gerade hier sein?«
    »Das will ich ja herausbekommen. Aber erst mal muss ich ihn finden.«
    »Haben Sie schon eine Unterkunft?«
    »Ja, in Sarrala. Ein Freund vermietet mir sein Haus.«
    Er nickte noch einmal. Die Tatsache, dass ich ihn nicht mehr zu brauchen schien, entband ihn wohl seiner Meinung nach von weiteren Fragen.
    »Virgilio Loi«, setzte ich hinzu.
    Das Lächeln, das er mir daraufhin schenkte, stand in keinem Verhältnis zur Bedeutung dieser Information. Aber hier im Dorf war Virgilio Loi eine Institution.
    Tatsächlich wagte der Wirt sich nun aus der Deckung.
    »Richtig, ich habe mir gleich gedacht, dass ich Sie schon mal gesehen habe.«
    »Ja, ich besuche Virgilio schon seit mehr als zwanzig Jahren.«
    »Arbeiten Sie auch auf Asinara?«
    »Nein, ich kenne ihn vom Hochsicherheitstrakt in Novara.«
    Erneutes Nicken. Eines von denen, die ein Gespräch für beendet erklären.
    Nach einigen Dienstjahren in Novara hatte man den Strafvollzugsbeamten Virgilio Loi auf die Insel Asinara versetzt, wo er weitere zehn Jahre im Gefängnis von Fornelli gearbeitet hatte. Bis zur vorzeitigen Rente.
    Ich hatte meinen Espresso ausgetrunken. Bevor ich ging, musste ich aber erst noch meine Mission zu Ende führen.
    »Der Junge, den ich suche, heißt Valentino Sanna. Sein Vater, Gabriele Sanna, war einer der Banditen von dem Überfall auf den Geldtransporter der Banco di Sardegna. 1994, auf der Carlo Felice. Er
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