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Das verlorene Gesicht

Das verlorene Gesicht

Titel: Das verlorene Gesicht
Autoren: Iris Johansen
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Prolog
    Diagnosezentrum Jackson, Georgia 27. Januar 23:55 Uhr
    Es würde geschehen. O Gott, lass es nicht geschehen. Verloren. Sie war verloren. Sie waren alle verloren. »Komm, wir gehen, Eve. Was willst du hier?« Joe Quinn
    stand neben ihr. Sein breites, jungenhaftes Gesicht wirkte bleich und angespannt im Schatten des aufgespannten schwarzen Regenschirms. »Du kannst nichts ausrichten. Seine Hinrichtung ist schon zweimal verschoben worden. Noch mal wird der Gouverneur es nicht machen. Es hat schon beim letzten Mal reichlich Empörung in der Öffentlichkeit gegeben.«
    »Er muss es tun.« Ihr Herz pochte so heftig, dass es schmerzte. Im Moment tat ihr überhaupt alles weh, was um sie herum passierte. »Ich möchte mit dem Gefängnisdirektor sprechen.«
    Quinn schüttelte den Kopf. »Er wird dich nicht empfangen.« »Aber wir haben schon miteinander gesprochen und daraufhin hat er den Gouverneur angerufen. Ich muss ihn sprechen. Er hat genau verstanden –« »Ich bringe dich zum Wagen. Es ist kalt hier draußen und du wirst noch ganz nass.« Sie schüttelte den Kopf und starrte verzweifelt auf das Gefängnistor. »Sprich du mit ihm. Du bist beim FBI. Vielleicht hört er dich ja an.« »Zu spät, Eve.« Er versuchte, sie unter den Schirm zu ziehen, aber sie machte einen Schritt zur Seite. »Mein Gott, warum musstest du herkommen?« »Du bist doch auch hier.« Sie wies auf die Ansammlung von Journalisten vor dem Tor. »Die sind auch hier. Und ich habe ja wohl am ehesten ein Recht, hier zu sein.« Sie wurde von heftigem Schluchzen geschüttelt. »Ich muss es verhindern. Ich muss ihnen klar machen, dass sie nicht einfach –« »Sie durchgeknallte Schlampe.« Sie wurde von einem Mann Anfang vierzig herumgerissen. Tränen liefen ihm über das schmerzverzerrte Gesicht. Sie brauchte einen Moment, um ihn zu erkennen. Bill Verner. Sein Sohn war einer der Verschollenen. »Halten Sie sich gefälligst raus.« Verner grub die Hände in ihre Schultern und schüttelte sie. »Die sollen ihn endlich töten. Sie haben uns genug Kummer bereitet und jetzt wollen Sie schon wieder, dass er davonkommt. Verdammt noch mal, sollen sie den Hurensohn doch verbrennen. « »Ich kann nicht – verstehen Sie das denn nicht? Sie sind verloren. Ich muss –« »Sie halten sich da jetzt raus, sonst werden Sie es noch bereuen, dass Sie –« »Lassen Sie sie in Ruhe.« Quinn trat vor und schlug Verners Hände von Eves Schultern. »Sie sehen doch, dass sie mehr als Sie leidet.« »Den Teufel tut sie. Er hat meinen Jungen getötet. Ich werde es nicht zulassen, dass er mit ihrer Hilfe schon wieder davonkommt.« »Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich seinen Tod nicht auch will«, gab sie wütend zurück. »Er ist ein Ungeheuer. Am liebsten würde ich ihn eigenhändig umbringen, aber ich kann nicht zulassen, dass er –« Es war der falsche Zeitpunkt für diese Streiterei, dachte sie panisch. Der Zeitpunkt war für alles falsch. Es war fast Mitternacht. Sie würden ihn töten. Und Bonnie würde für immer verloren sein. Mit einer raschen Drehung wandte sie sich von Verner ab und rannte zum Tor. »Eve!« Sie hämmerte mit den Fäusten gegen das Tor. »Lasst mich rein. Ihr müsst mich reinlassen. Bitte, tut das nicht.« Blitzlichter. Die Gefängniswärter kamen auf sie zu. Quinn versuchte, sie vom Tor wegzuziehen. Das Tor wurde geöffnet. Vielleicht war ja noch was zu machen. Herr, gib mir noch eine Chance. Der Gefängnisdirektor kam heraus. »Halten Sie es auf«, schrie sie. »Sie müssen es aufhalten –« »Gehen Sie nach Hause, Ms Duncan. Es ist vorbei.« Er ging auf die Fernsehkameras zu. Vorbei. Es konnte nicht vorbei sein. Der Direktor blickte mit ernster Miene in die Kameras und gab eine knappe Erklärung zur Sache ab. »Die Hinrichtung wurde nicht aufgeschoben. Ralph Andrew Fraser wurde vor vier Minuten hingerichtet. Sein Tod wurde um 00.07 Uhr festgestellt.« » Nein. « Der Schrei war voller Qualen und Verzweiflung, wie das unsägliche Klagen eines verlorenen Kindes. Eve bemerkte gar nicht, dass sie es war, die diesen Schrei ausgestoßen hatte. Quinn fing sie auf, als ihre Knie nachgaben und sie ohnmächtig zusammensackte.

Kapitel 1
    Atlanta, Georgia 3. Juni Acht Jahre später
    »Du siehst total fertig aus. Es ist fast Mitternacht. Schläfst du nie?«
    Eve sah von ihrem Computer auf. Joe Quinn stand gegen den Türrahmen gelehnt. »Doch.« Sie nahm die Brille ab und rieb sich die Augen. »Eine durchgearbeitete Nacht macht noch keinen
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