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Kupferglanz

Titel: Kupferglanz
Autoren: Leena Lehtolainen
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Eins
    Ich hatte immer schon ein gutes Geruchsgedächtnis. Noch nach Jahren kann ich mir den Duft eines Ortes oder eines Menschen in Erinnerung rufen. Wenn ich an den Frühling denke, fällt mir das lockende Aroma der feuchten Erde ein, den Herbst erkenne ich am schweren, melancholischen Dunst des nassen Laubs.
    Bei Ostwind stieg von der Abraumhalde des Bergwerks, die von allen Plörre genannt wurde, der bittere Geruch von Schwefel und Kupfer auf und legte sich über Arpikylä. Keine Frage, ich war wieder in meiner Heimatstadt, die ich mit neunzehn, vor gut zehn Jahren, hinter mir gelassen hatte. Als ich noch hier lebte, hatte ich den Geruch kaum wahrgenommen. Damals war mir auch nicht aufgefallen, wie majestätisch der graue, steinerne Turm das Profil der Stadt be-herrschte.
    Als ich jetzt die Hauptstraße entlangging, ragte der Turm über der Stadt wie ein großes graues Gespenst, gleichzeitig schwerelos und bedrückend. Der Hügel, auf dem er stand, glänzte kupfern; die leuchtende Farbe unterstrich die drohende Finsterkeit des Turms. Ich konnte nicht anders ‐ ich musste den Blick abwenden, den klaren Himmel anschauen und die grünenden Birken unterhalb des Hügels.
    Und mich fragen, was in aller Welt mich hierher zurückgeführt hatte.
    Ich hatte sogar schon angefangen, mich in Arpikylä einzugewöhnen. Ich war ja nicht für immer zurückgekommen, nur für ein halbes Jahr, und davon hatte ich die ersten zwei Monate schon hinter mir.
    So allmählich gewöhnte ich mich daran, dass das Leben mich ohne Vorwarnung von einem Ort an den nächsten warf. Vor gut einem Jahr hatte ich das Juraexamen abgelegt und in einer kleinen Anwaltskanzlei in Tapiola einen Job gefunden. Anfangs ließ sich alles ganz gut an, aber nach und nach kamen mir die Vorgänge in der Kanzlei immer verdächtiger vor. Während des Weihnachtsurlaubs hatte ich beschlossen, risikofreudig zu sein und zu kündigen, aber gerade da bekam der Chef und Hauptteilhaber einen Herzinfarkt und starb.
    Bei der Nachlassabwicklung stellte sich heraus, dass die Kanzlei konkursreif war.
    Die Firma wurde verkauft, und ich stand mit einer Kündigung und ein paar Monatsgehältern Abfindung da.
    Einen neuen Job zu finden schien unmöglich. Ich hatte sogar meinen Stolz geschluckt und bei meinem früheren Arbeitsplatz, dem Dezernat Gewaltkriminalität bei der Kripo in Helsinki, angerufen ‐ ich bin nicht nur Juristin, sondern auch Kriminalhauptmeisterin ‐, aber dort war natürlich nichts frei, im Gegenteil, das Dezernat sollte abgebaut werden. Auch alle anderen Versuche schlugen fehl. Mein Leben hatte keinen Fixpunkt, denn zu allem Überfluss war mein Freund Antti gerade für ein knappes Jahr nach Chicago gegangen, um dort nach seiner Promotion wissenschaftlich zu arbeiten. Ich hing trübselig in Anttis Wohnung herum, die mir schrecklich leer vorkam, und verbrachte die Hälfte des Tages beim Sport, die andere Hälfte mit Lesen. Durch die Kneipen zog ich auch viel zu oft. In meiner Verzweiflung spielte ich sogar mit dem Gedanken weiterzustudieren.
    Da mir nichts Besseres einfiel, hatte ich beschlossen, von meinem letzten Geld für einen Monat nach Chicago zu fliegen. Das bedeutete natürlich, dass mir erst mal das Arbeitslosengeld gestrichen wurde. Am Tag vor dem Abflug rief Jussi Rantanen an, der Ortspolizeidirektor von Arpikylä. Er erklärte, er wolle endlich sein Jurastudium abschließen und brauche für ein paar Monate eine Vertretung. Jussi Rantanen und meine Eltern gehören zu den Stützen des Kammerchors von Arpikylä. Infolgedessen war die arbeitslose Tochter des Ehepaars Kallio nach Ansicht von Ortspolizeidirektor Jussi die passende Kandidatin für die Vertretung.
    Ich wusste nur zu gut, dass ich Ende September die nächste Rate meines Studiendarlehens zurückzahlen musste. Der Ortspolizeidirektor in meiner Heimatstadt konnte nicht so wahnsinnig viel zu tun haben, dachte ich. Irgendeine Bude würde ich wohl auch finden ‐ bei meinen Eltern zu wohnen wäre mir nicht im Traum eingefallen, und ich glaube auch nicht, dass sie das gewollt hätten. Ich bat mir ein paar Wochen Bedenkzeit aus. Schließlich rief ich Jussi von Chicago aus an und sagte zu, obwohl Antti skeptisch war.
    «Du behauptest doch immer, du hasst die Stadt. Was treibt dich jetzt plötzlich dahin?»
    «Ein halbes Jahr lässt es sich überall aushalten. Und ein paar nette Leute wohnen da immerhin auch. Ella, meine beste Schulfreundin, ist Kulturdezernentin. Und Koivu arbeitet ja inzwischen in
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