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Kupferglanz

Titel: Kupferglanz
Autoren: Leena Lehtolainen
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Joensuu, das ist bloß eine halbe Stunde von Arpikylä.»
    Natürlich gab es noch andere Gründe für meine Zusage. Dass ich bald dreißig wurde, brachte mich irgendwie dazu, nach meinen Wurzeln zu suchen. Vielleicht wollte ich deshalb für eine Weile zurück nach Arpikylä.
    Arpikylä ‐ das Narbendorf. Der Name war absurd. Man behauptete, er sei von den wundenartigen Rändern und der schorfbraunen Farbe der Erzschicht unter dem alten Bergwerkshügel abgeleitet. Ein Schulfreund von mir, der die Stadt hasste, hatte immer erklärt, der Name käme daher, dass keiner dort leben konnte, ohne Narben davonzutragen. Natürlich war es ein trostloser Ort, wie jede Kleinstadt, die um einen einzigen Betrieb gewachsen ist. In meinem ersten Jahr auf der Polizeischule hatte ich grinsend gelesen, dass Arpikylä von den Lesern einer Illustrierten auf die Liste der zehn ödesten Städte Finnlands gesetzt worden war.
    Nie wieder zurück, hatte ich mir geschworen.
    Es hatte natürlich einen gewissen Schick, aus Arpikylä zu stammen. Es klang interessanter als Hyvinkää, Loimaa oder Kokemäki, irgendwie härter. Maria Kallio aus Arpikylä, dem Wilden Osten Finnlands. In den letzten Jahren hatte die Stadt versucht, sich ein neues, freundliches Image zuzulegen. Das Motto dieser Kampagne klang allerdings ziemlich krampfig: Arpikylä ‐ die Stadt mit dem Kupferherz. Dabei waren die Erzvorkommen, denen die Stadt ihre Existenz verdankte, seit Jahren erschöpft.
    Vom Turm her war ein immer schneller wiederholtes Warnsignal zu hören. Ich sah besorgt hinüber. Sie würden doch wohl nicht den Turm zum Einsturz bringen? Ich wusste zwar ‐ schließlich hatte ich selbst die Genehmigung erteilt ‐, dass nur eine kleine Sprengung in ziemlicher Entfernung vom Turm vorgesehen war, aber ich konnte nicht anders, als stehen zu bleiben und mich zu überzeugen, dass der graue Alte den Anprall überstand.
    Links hinter dem Turm stieg eine winzig kleine Staubwolke auf, als auch schon das gleichmäßige Entwarnungssignal ertönte. Der neue Pächter des Alten Bergwerks setzte die Ausfahrt für die Touristenführungen durch die Stollen instand. Nächsten Freitag sollte das Gelände eröffnet werden.
    Ich winkte dem Turm zu, bevor ich mich auf den Weg zum Polizeirevier machte. Er winkte nicht zurück, sondern starrte mich böse an: Wie konnte ich mir einbilden, so ein kleiner Knall würde, ihm etwas anhaben ? Einen Moment lang erschien mir der Turm geradezu furchterregend; er führte das Kommando, er warf lange, dunkle Schatten über seine Umgebung.
    Noch beim abendlichen Jogging hatte ich das Gefühl, der Turm wachte über meine Schritte. Ich hatte mir vorgenommen, während meiner sechs Monate in ländlicher Umgebung gesund zu leben: viel Sport, viel Schlaf, viel Gemüse und unter der Woche höchstens ein Bier pro Abend. Das gesunde Leben zahlte sich aus, das Laufen fiel mir neuerdings so leicht, dass ich mit dem Gedanken spielte, im August am Helsinki City Marathon teilzunehmen. Koivu hatte mir erzählt, dass die Polizeibehörde in Joensuu eine Mannschaft aufstellte, vielleicht konnte ich mich da anschließen …
    Nach einem Blick auf die Uhr zog ich das Tempo an. Ich hatte beim Weggehen die Sauna angeheizt, denn ich hatte nur sechs Kilometer laufen wollen. Jetzt waren es schon acht, und für den Rückweg nach Kuusikangas würde ich noch zehn Minuten brauchen. Bestimmt war das Feuer bis dahin längst ausgegangen.
    Mein Herzschlag war doppelt so schnell wie der Rhythmus des Simon & Garfunkel-Songs in meinem Walkman. Ich mochte aber nicht anhalten und das Band vorspulen. Dieser Teil der Waldstrecke war mir immer unheimlich gewesen; hinter den schwarzgrünen Kiefern konnte sich alles Mögliche verbergen.
    Auch das ferne Motorengeräusch klang bedrohlich.
    Ein Nissan mit lädiertem Auspuff tauchte auf dem Hügel hinter mir auf, knatterte vorbei und bremste plötzlich. Als der Fahrer die Tür aufstieß, war ich drauf und dran kehrtzumachen. Die untergehende Sonne hinter den Kiefern spiegelte sich in der Tür und blendete mich, sodass ich das Gesicht des Fahrers nicht gleich sah. «Maria!»
    Die Stimme kam mir irgendwie bekannt vor. Ich lief zum Auto. Auf halbem Weg begriff ich plötzlich, dass der Mann dort Johnny war. Ich verfluchte meine zerschlissene Jogginghose, mein schweißnasses Gesicht und meine zerzausten Haare. Beim ersten Wiedersehen mit Johnny nach fünfzehn Jahren hätte ich es vorgezogen, möglichst toll auszusehen.
    «Ja, ich binʹs», sagte ich
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