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Der Tod und der Dicke

Der Tod und der Dicke

Titel: Der Tod und der Dicke
Autoren: Reginald Hill
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Bewusstsein wieder in sein Gehirn sickerte, fühlte er sich, als wäre jedes Körperteil ordentlich durchgewalkt worden. Er versuchte aufzustehen, musste aber feststellen, dass er nur auf alle viere kam, zu mehr reichte es nicht.
    In der Luft hing Staub und Rauch. Wie ein Vorstehhund, der auf der Suche nach dem erlegten Vogel seines Herrchen durch den Nebel äugte, spähte er angestrengt durch die wirbelnden Dunst- und Staubschleier. Ein amorpher orangeroter Bereich mit einem scheinbar festen Sockel verschaffte ihm so etwas wie eine Perspektive. Davor, gekennzeichnet durch seine Reglosigkeit in der sich bewegenden Luft, konnte er einen verschwommenen, undefinierbaren Haufen ausmachen, ähnlich einem Erdhügel, der neben einem Grab aufgeschüttet worden war.
    Er kroch darauf zu, nach einigen Metern gelang es ihm dann tatsächlich, sich mit den Händen vom Boden zu lösen und eine halb aufrechte, geduckte Haltung einzunehmen. Die sich schlängelnde, wabernde Farbe, wurde ihm jetzt bewusst, war Feuer. Er spürte die Hitze, die ganz anders war als die sanfte Wärme der Sonne, die er nur eine Stunde zuvor in der grünen Abgeschiedenheit seines Gartens genossen hatte. Der kleine Bereich seines Gehirns, der noch Verbindung mit der Normalität hatte, legte ihm nahe, Ellie anzurufen und ihr zu sagen, dass es ihm gut gehe, bevor die lokalen Radiosender die verstümmelte Version der Ereignisse brachten.
    Wobei er sich nicht sicher war, wie gut es ihm wirklich ging. Jedenfalls sehr viel besser als diesem reglosen, undefinierbaren Haufen, dem er mittlerweile nahe genug gekommen war, um ihn zur Gänze als Andy Dalziel identifizieren zu können.
    Er war auf die linke Seite gefallen, Arme und Beine waren ausgestreckt wie die mit Kapok gefüllten Glieder eines riesigen, von einem verzogenen Kind weggeworfenen Teddybären. Sein Gesicht war von Glas- und Backsteinsplittern zerschnetzelt, der feine graue Staub, der an den blutenden Wunden haftete, ließ ihn aussehen, als trüge er eine Kabuki-Maske.
    Keinerlei Lebenszeichen. Aber nicht eine Sekunde lang gestand sich Pascoe die Möglichkeit ein, er könnte tot sein. Dalziel war unzerstörbar. Dalziel ist, war und wird immer sein, von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen. Jeder wusste das. Darin lag ein Großteil seiner Macht. Chief Constables mochten kommen, und Chief Constables mochten gehen, der dicke Andy war für immer da.
    Er rollte ihn auf den Rücken. Das war nicht leicht, aber er schaffte es. Er wischte ihm den Staub von Mund und Nase. Der Dicke atmete nicht, definitiv nicht. Er fühlte den Puls an der Halsschlagader und glaubte ein Flattern zu spüren, seine tauben Finger und Dalziels monolithischer Hals allerdings ließen ihn im Zweifel. Er öffnete ihm den Mund und sah, dass er voll war mit Trümmern. Sorgfältig räumte er ihn aus und entdeckte dabei, dass Dalziel eine Zahnprothese trug. Diese steckte er sich vorsichtig in die Tasche. Er vergewisserte sich, dass Dalziel seine Zunge nicht verschluckt hatte. Dann reinigte er die Nase, knöpfte den Hemdkragen auf und legte das Ohr auf den mächtigen Brustkorb. Keine Regung, kein Geräusch.
    Er legte die Hände übereinander, setzte sie auf der Brust auf und presste hart dagegen, fünfmal, während er dazwischen ein zweites Intervall abzählte.
    Mit der rechten Hand hielt er daraufhin Dalziels Kinn umfasst und streckte ihm den Kopf nach hinten, so dass sich der Mund weit öffnete. Mit Daumen und Zeigefinger der Linken drückte er die Nase zu. Atmete dann tief ein, dachte sich, er werde nie hören, wann es unten ankommt, presste seinen Mund auf die mächtigen Lippen und blies. Fünfmal tat er dies. Dann wiederholte er die Herzmassage und ging das gesamte Prozedere erneut durch. Und noch einmal.
    Wieder fühlte er den Puls. Diesmal war er überzeugt, etwas zu spüren. Und als er das nächste Mal in den Mund blies, begann der Brustkorb sich von allein zu heben und zu senken.
    Jetzt machte er sich daran, Dalziel in die stabile Seitenlage zu bringen. Eine beängstigende Aufgabe, die einen Bauarbeiter mit einem Flaschenzug erfordert hätte, aber es gelang ihm schließlich. Erschöpft sank er zurück. All dies schien Stunden zu beanspruchen, musste aber nur wenige Minuten gedauert haben. Vage war er sich der Gestalten bewusst, die sich durch das Miasma bewegten. Vermutlich gab es auch Geräusche, die zunächst allerdings vom weißen Rauschen, das nach der Explosion seinen Gehörgang füllte, einfach verschluckt wurden. Eine weitere Stunde
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