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Der Tod und der Dicke

Der Tod und der Dicke

Titel: Der Tod und der Dicke
Autoren: Reginald Hill
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waren in diesem Fall ihre alte Schulleiterin, Freifrau Kitty Bagnold, die fast vierzig Jahre lang über die berühmte St. Dorothy’s Academy for Catholic Girls bei Bakewell in Derbyshire geherrscht hatte. Cap Marvell hatte ihre Lebensentscheidungen getroffen, die allem widersprachen, wofür St. Dot’s stand. Insbesondere war sie aus ihrer Kirche ausgetreten, hatte sich scheiden lassen und sich für verschiedene Tierrechtsgruppen engagiert, deren Aktivitäten hart am Rand der Legalität waren. Trotz allem aber waren sie und die Freifrau Kitty immer in Verbindung geblieben, bis sie zu ihrer eigenen Überraschung feststellen mussten, dass sie Freundinnen geworden waren. Nicht dass diese Freundschaft Cap, dem eigenen Gefühl nach, erlaubt hätte, ihre ehemalige Schulleiterin mit deren altem Spitznamen Kitbag anzusprechen, und auch die Freifrau hätte sich eher zu einem gotteslästerlichen Fluch hinreißen lassen, als ihre Ex-Schülerin anders zu nennen als Amanda.
    Lange und überaus aktiv verbrachte Pensionsjahre hatten die Freifrau Kitty entkräftet, bis ihre angegriffene Gesundheit sie schließlich dazu zwang, sich in das Unvermeidliche zu fügen: Zwei Jahre zuvor war sie in ein privates Pflegeheim umgesiedelt, das zum Avalon-Klinik-Komplex in Sandytown an der Küste von Yorkshire gehörte. In ihren besten Momenten war die Freifrau so aufgeweckt und scharfsinnig wie eh und je, aber sie ermüdete schnell, weshalb sich Cap daran gewöhnt hatte, auf die ersten Anzeichen von Erschöpfung zu achten, damit sie ihren Besuch beenden konnte, ohne als Grund dafür den Zustand ihrer Freundin angeben zu müssen.
    Diesmal aber war es die ältere Frau, die sagte: »Stimmt etwas nicht, Amanda?«
    »Was?«
    »Sie scheinen in Gedanken ganz woanders zu sein. Vielleicht sollten Sie sich in diesen lächerlichen Rollstuhl setzen, während ich reingehe und noch etwas Tee bestelle.«
    »Nein, nein, alles bestens. Tut mir leid. Wo waren wir stehen geblieben …?«
    »Wir haben über die Vorzüge der in Teilen doch sehr rudimentären Bildungspolitik der Regierung gesprochen, eine Diskussion, die ich Ihrem plötzlichen Schweigen zufolge für mich entschieden haben dürfte. Aber ich fürchte, ich schulde meinen Sieg eher Ihrer Ablenkung als meiner Argumentation. Sind Sie sich sicher, dass alles in Ordnung ist? Keine Probleme mit Ihrem Polizisten, den ich eines Tages hoffentlich kennenlernen werde?«
    »Nein, alles wunderbar, wirklich …«
    Plötzlich zog Cap Marvell ihr Handy heraus.
    »Entschuldigung, was dagegen?«
    Bevor Kitty darauf antworten konnte, hatte sie bereits die eingespeicherte Nummer gewählt.
    Es klingelte zweimal, darauf kam die Einladung, eine Nachricht zu hinterlassen.
    Sie öffnete den Mund, wollte etwas sagen, schloss ihn, beendete die Verbindung und stand auf.
    »Tut mir leid, Kitty, ich muss los. Bevor die Massen vom Strand aufbrechen …«
    Dieser Versuch einer rationalen Erklärung führte nur zum gleichen traurigen Seufzen und leichten Augenverdrehen, mit dem einst am St. Dot’s die lahmen Entschuldigungen für schlechtes Betragen bedacht worden waren. »Gut, das ist nicht der Grund. Tut mir leid, ich weiß nicht, warum«, sagte Cap. »Aber ich muss wirklich los.«
    »Dann gehen Sie, meine Liebe. Und möge Gott mit Ihnen sein.«
    Diese traditionellen Abschiedsworte hätte Cap normalerweise mit einer dem Leidensausdruck ihrer ehemaligen Schulleiterin entsprechenden Miene quittiert, diesmal aber nickte sie nur, beugte sich vor, um ihrer Freundin einen Kuss auf die Wange zu drücken, und eilte daraufhin über den Rasen zum Parkplatz.
    Die Freifrau sah ihr nach, bis sie außer Sichtweite war. Probleme standen an. Trotz der strahlenden Sonne und des wolkenlosen Himmels spürte sie sie in der Luft liegen. Sie erhob sich aus dem Rollstuhl, den sie auf Verlangen des Personals bei ihren Exkursionen in den Garten benutzen sollte, verpasste ihm einen Schlag mit dem Stock und begab sich auf ihren langsamen Weg zurück zum Haus.

4
    Schutt und Asche
    Dalziel, reimte sich Peter Pascoe später zusammen, hatte ihm wahrscheinlich zweimal das Leben gerettet. Der Wagen des Dicken, hinter dem sie Deckung gesucht hatten, war in die Luft geschleudert und umgedreht auf dem Bürgersteig wieder abgesetzt worden. Hätte er nicht dem Befehl des Dicken gehorcht, ihm zu folgen, wäre er daruntergelegen.
    Und hätte er sich nicht im Lee des korpulenten Körpers aufgehalten, als es zur Explosion kam … Jetzt aber, als ein geringfügiges Maß an
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