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Der Tod und der Dicke

Der Tod und der Dicke

Titel: Der Tod und der Dicke
Autoren: Reginald Hill
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verstrich. Oder ein paar Sekunden. Er spürte, wie etwas seine Schulter berührte. Es tat weh. Er sah auf. PC Maycock stand über ihm und bewegte wie ein Fisch in einem Glastank den Mund. Er versuchte ihm von den Lippen abzulesen und verstand »Alles in Ordnung?«, was die Mühe kaum wert war. Er deutete auf Dalziel und sagte »Holen Sie Hilfe«, ohne die Gewissheit zu haben, dass er die Worte auch herausgebracht hatte. Maycock wollte ihm auf die Beine helfen, aber er schüttelte den Kopf und deutete wieder auf den Dicken. Er fuhr sich mit dem kleinen Finger in die Ohren und schälte die Trümmer heraus, die sich dort eingenistet zu haben schienen. Das oder einfach nur die Zeit, die verstrich, schien es ein wenig besser zu machen. Er hörte nun einen höheren Ton, den er versuchsweise als sich nähernde Sirenen einordnete.
    Die Zeit führte noch immer ihren Quickstep auf. Langsam, langsam, schnell, schnell, langsam. In den langsamen Abschnitten hatte er das Gefühl, er habe nie etwas anderes getan, als hier im Nachexplosionssmog zu sitzen und über den dicken Andy zu wachen, und er würde auch nie etwas anderes tun. Dann schloss er für den Bruchteil einer Sekunde die Augen, und als er sie wieder aufschlug, hatte sich der Smog ein wenig gelichtet, und Sanitäter standen über Dalziels Körper gebeugt, und Feuerwehrleute machten sich vor der in Schutt und Asche gelegten Häuserzeile an ihre Arbeit.
    Wo Nummer 3 gewesen war, gab es nur noch eine von Flammen gefüllte Lücke, fast wie der Eingang zur Hölle in einer Moralität. Die minderwertigen Baumaterialien der viktorianischen Unternehmer hatten der Explosion wenig Widerstand entgegenzusetzen. Wahrscheinlich handelte es sich hierbei um eines der Ereignisse, bei denen sich das Schlechte letztendlich als das Gute herausstellte und aus dessen bereits Jahrzehnte zuvor angelegter Bestimmung sich ein Zeugnis für Gottes rätselhafte Wege ableiten ließe. Wären die Mauern der Hausnummer 3 von ebenso solider Festigkeit gewesen wie der Bahndamm, an dem die Häuser sich abstützten, hätte sich die Detonation mit aller Wucht direkt nach vorne erstreckt. So aber waren die Hausnummern 2 und 4 vollständig eingestürzt, und die übrige Häuserzeile sah ernstlich in Mitleidenschaft gezogen aus.
    Man brachte alles Mögliche am Dicken an, aber nicht, soweit Pascoe sehen konnte, einen Kran. Sie würden einen Kran brauchen. Und eine Schlinge. Schließlich versorgten sie hier einen gestrandeten Wal, und es bedurfte schon mehr als der kümmerlichen Anstrengungen eines halben Dutzends Männer, um ihn ins lebenserhaltende Meer zurückzuschaffen. Das wollte er sagen, aber er brachte die Worte nicht heraus. Spielte keine Rolle. Seine Voraussage stellte sich als falsch heraus. Irgendwie gelang es diesen Supermännern, Dalziel auf eine Trage zu schaffen. Erleichtert schloss Pascoe die Augen. Als er sie wieder öffnete, war sein Blick in den Himmel gerichtet, und er bewegte sich. Eine Sekunde lang glaubte er, er sei wieder auf seiner Hängematte im Garten. Dann wurde ihm bewusst, dass auch er sich auf einer Trage befand.
    Er hob den Kopf und wollte dagegen protestieren; es sei doch unnötig. Die Anstrengung machte ihm klar, dass es wahrscheinlich doch nötig sei. Vor sich konnte er den Krankenwagen erkennen. Daneben stand eine nur allzu vertraute Gestalt.
    Hector, der Verursacher all ihres Leids; seine Miene verständnisloser Bestürzung war der Traum jedes Karikaturisten.
    Während die Sanitäter die Trage in den Wagen schoben, streckte er beide Arme nach Pascoe aus. In den Händen hielt er zwei Papiertüten, teilweise geöffnet, so dass die beiden Hammelpasteten und eine Mandelschnitte zu sehen waren. »Tut mir leid, Sir, aber Cremetarte gab es nicht mehr …«, stotterte er.
    »Ist nicht mein Glückstag«, murmelte Peter Pascoe. »Nicht mein Glückstag.«

5
    Die beiden Geoffroys
    André de Montbard, Tempelritter und rechte Hand von Hugues de Payens, dem Großmeister des Ordens, angelte im trüben Kanal am entfernten Ende von Charter Parker. Er saß auf einem Leinwandhocker, den Rücken an eine Platane gelehnt, die Rute vor sich auf einer Gabel, die aus einem Drahtkleiderbügel zurechtgebogen worden war. Die Sonne war hinter den Lagerhäusern am gegenüberliegenden Ufer verschwunden, aber die Luft war noch warm und der Himmel noch blau, auch wenn sich das Azur des Nachmittags mittlerweile zu einem Indigo verdunkelte. Sein Schwimmer hüpfte im Fahrwasser eines vorüberfahrenden Hausbootes,
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