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Der Tod und der Dicke

Der Tod und der Dicke

Titel: Der Tod und der Dicke
Autoren: Reginald Hill
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oder als ein den Fahrer unweigerlich ablenkender Beifahrer, stellt ein motorisierter Hector eine tödliche Gefahr dar. Auf einem Fahrrad erreicht er zwar nie die Geschwindigkeit, die ihn zu einer Gefahr werden lassen könnte, seine Ähnlichkeit mit einer betrunkenen Giraffe allerdings trägt zwar viel zur Heiterkeit in Mid-Yorkshire, aber wenig zum Ansehen der Polizei bei.
    Also trottet Hector; und als er an jenem Tag durch die Mill Street trottete, hörte er, während er Hausnummer 3 passierte, ein Geräusch. »Wie ein Husten«, sagte er. »Oder wie ein morscher Stecken, der bricht. Oder wie ein Tennisball, der von einer Wand abprallt. Oder wie ein Schuss.« Das Höchste an Präzision, die Hector je erreicht, sind Multiple-Choice-Antworten.
    Er probierte die Tür. Sie ließ sich öffnen. Er trat in den kühlen Schatten eines Videoladens. Hinter dem Ladentisch sah er zwei Männer. Um deren Beschreibung gebeten, dachte er eine Weile lang nach, bevor er antwortete, dass es schwer gewesen sei, überhaupt etwas klar zu erkennen, schließlich sei er vom hellen Sonnenlicht ins Dunkel gekommen, dennoch sei er der ziemlich festen Meinung, einer der Männer sei »so ein irgendwie Schwarzer« gewesen. Der politisch korrekte Zeitgenosse mochte darin eine rassistische Gesinnung heraushören und Hectors Untauglichkeit für seine Arbeit ableiten. Für jene aber, die seine Beschreibung eines Ladendiebs gehört hatten, der sich zur Weihnachtszeit als Nikolaus verkleidet hatte – »ein kleiner Typ, ich glaube mit Vollbart« –, musste »so ein irgendwie Schwarzer« nahezu eidetisch anmuten.
    Der Zweite im Laden (»irgendwie komisch, aber wahrscheinlich nicht so ein Schwarzer«, lautete in dem Fall Hectors bester Versuch) schien etwas in der rechten Hand gehalten zu haben, was vielleicht eine Waffe gewesen sein könnte. Aber es war schwer, sich dessen sicher zu sein, da er ja im tiefsten Schatten stand, während der andere die Hände hinter dem Ladentisch nach unten und außer Sichtweite brachte, als er Hector sah.
    Da Hector das Gefühl hatte, die Situation müsse geklärt werden, sagte er: »Alles in Ordnung?«
    Es folgte eine kurze Pause, in der sich die beiden im Laden ansahen.
    Dann erwiderte der so irgendwie Schwarze: »Ja, alles in Ordnung.«
    Und Hector beendete den erhellenden Wortwechsel, indem er mit einer fast schon schönen Knappheit und Symmetrie sagte: »Alles in Ordnung.«
    Und ging.
    Daraufhin quälte ihn ein philosophisches Problem. Hatte es nun einen Vorfall gegeben, den er melden sollte? Es braucht keine Ewigkeit, um Hector von seinen Gedankengängen fortzulocken; der Zeitraum zwischen jetzt und der Teatime reicht dazu vollends. So war er, als er zur gegenüberliegenden Straßenseite wechselte, mehr als blind für seine Umgebung, was zur Folge hatte, dass er von einem vorbeikommenden Streifenwagen beinahe überfahren worden wäre. Der Fahrer, PC Joker Jennison, legte eine Vollbremsung hin und beugte sich aus dem offenen Fenster, um seinen Zweifeln an Hectors geistiger Gesundheit Ausdruck zu verleihen.
    Hector hörte höflich zu – schließlich hatte er das alles schon zur Genüge vernommen – und lud dann, als Jennison kurz innehielt, um Atem zu schöpfen, sein Problem auf den sehr breiten Schultern des Constable ab.
    Jennisons erster Gedanke war, dass eine Geschichte wie diese aus solcher Quelle mit ziemlicher Sicherheit ziemlicher Stuss sei. Außerdem waren es nur noch fünf Minuten bis zum Ende seiner Schicht, was auch der Grund gewesen war, überhaupt mit erhöhter Geschwindigkeit durch die Mill Street gefahren zu sein.
    »Am besten, du erstattest Meldung«, sagte er. »Aber warte, bis wir außer Sichtweite sind.«
    »Ich glaube, mein Akku ist leer«, sagte Hector.
    »Was du nicht sagst«, antwortete Jennison und ließ den Motor an.
    Unglücklicherweise stammte sein Partner, PC Alan Maycock, aus Hebden Bridge, das nahe genug an der Grenze zu Lancaster liegt, damit die Einheimischen dort nach den Maßstäben von Mid-Yorkshire in jeder Hinsicht als ein wenig verweichlicht und bekloppt galten. Hectors Notlage stimmte ihn milde.
    »Ich stell dich auf unserem Funkgerät durch«, sagte er. Und als Jennison ihm einen harten Schlag in die Magengrube verpasste, murmelte er: »Na, dauert doch nicht länger als eine Minute, und wenn sie hören, dass es Hec ist, werden sich alle anpinkeln vor Lachen.«
    Als Polizist hätte er wissen müssen, dass der Lohn der Tugend sich sparsam und mit großer Verzögerung einstellt.
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