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Der Tod des Zauberers

Der Tod des Zauberers

Titel: Der Tod des Zauberers
Autoren: Horst Biernath
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Geheimnisse zu entreißen.«
    »Es gibt keine Geheimnisse!«
    »Gut, es gibt keine Geheimnisse. Ich nehme es zur Kenntnis. Aber wenn du mich einmal brauchen solltest, dann weißt du jedenfalls, wo du mich erreichen kannst, telefonisch oder persönlich. Leb wohl, mein Kleines. Sofie wird inzwischen meinen Kaffee gekocht haben. Ich muß in die Stadt zurück, weil ich heute abend noch eine Besprechung mit einem Filmfritzen habe. Halt mir ein wenig den Daumen, denn wenn es klappt, habe ich für das kommende Jahr keine Sorgen.«
    »Auf Wiedersehen, Onkel Paul!« Sie stieß sich von der Fensterbank ab, schlang die Arme um meinen Hals und drückte mir zwei Küsse auf die Wange.
    »Wenn ich das gewußt hätte, dann hätte ich mich extra frisch rasiert«, murmelte ich ein wenig bestürzt, denn es war seit Jahren das erstemal, daß sie mich wieder küßte. Als Kind hatte sie mich mit ihren Zärtlichkeiten oft beinahe erdrückt. Mein Abgang muß einigermaßen komisch ausgesehen haben, wie die Flucht Josephs vor Madame Potiphar.
    Alexander empfing mich unten an der Treppe. »Ich wollte dich gerade holen, Onkel Paul. Dein Kaffee ist fertig. Sofie hat es mir überlassen, ihn dir zu servieren. Sie läßt dich schön grüßen, aber sie mußte zum Einkäufen ins Dorf...« Er sah mich von der Seite an: »Komisch, nicht wahr?«
    Ich erwiderte nichts. Aber daß Sofie sich die Gelegenheit entgehen ließ, mir die Hand zu drücken, war tatsächlich merkwürdig. Es sah nach Flucht aus, als wünsche sie, unangenehmen Gesprächen und Fragen aus dem Weg zu gehen.
    »Nun, vielleicht treffe ich sie unterwegs.«
    »Dann schau gut in den Büschen nach«, murmelte er. »Jedenfalls gehen mir die Geheimnisse hier allmählich auf die Nerven. Ich werde angeln gehen, wenn du weg bist. Die Fische sind genauso gesprächig und lustig wie meine Lieben daheim. Ach, mir steht alles bis hier!« Er hob die flache Hand an den Hals und machte ein Gesicht, als hätte er in eine unreife Zitrone gebissen.
    Wir gingen in das sogenannte Speisezimmer, den einzigen Raum im Haus, der bis auf ein paar wertvolle Barockkommoden und Schränke normal möbliert war. Denn wenn der Eßtisch auch aus dem fünfzehnten Jahrhundert stammte und einst in irgendeinem Kloster als Refektoriumstisch gedient haben mochte, so war er doch für die tägliche Benutzung bestimmt, und man durfte auf die zerkratzte Platte aus Birnbaumholz ruhig einmal Zigarettenasche verstreuen, Funken fallen lassen oder die Suppe verschütten, ohne Schaden anzurichten. Alex schenkte mir den Kaffee ein, und Sofie kannte mich zu gut, als daß sie mir etwas anderes als normales Gebrauchsporzellan vorgesetzt hätte. Ein ganzer Napfkuchen mit goldgelber Schnittfläche und knusprig braunem Rand stand vor mir. Er war hervorragend.
    »Sag mal, Alex«, fragte ich nach der ersten Tasse Kaffee, »hast du diesen Manueli gesehen?«
    »Wie sollte ich? Ich bin doch erst zwei Tage nach dem Mord hier angekommen.«
    »Ich meine den toten Manueli...«
    »Nein, der Staatsanwalt von Altenbruck hat die Leiche sofort nach der Spurensicherung beschlagnahmt und wegtransportieren lassen. Ich weiß nicht einmal, ob er überhaupt schon zur Bestattung freigegeben worden ist und wo er beerdigt wird.«
    Ich trank noch eine Tasse Kaffee und verzehrte noch zwei Stücke von Sofies Napfkuchen, bevor ich mich erhob.
    »Dann also Servus, mein Junge — und laß von dir hören, wenn es etwas Besonders geben sollte.«
    »Auf Wiedersehen, Onkel Paul! Komm doch bald wieder mal heraus, wenn du Zeit hast. Es sind ein paar Hechte im See, die wir unbedingt herausfischen müssen.« Er begleitete mich zum Wagen.
    »Und noch eins, Onkel Paul«, grinste er, als ich die Handbremse löste, »ich möchte nicht, daß man dich für einen Wüstling hält. Du hast nämlich Lippenstift im Gesicht. Es ist Hansis Sorte, und du bist nicht der erste Kavalier, an dem ich Spuren ihrer Tätigkeit entdecke...«
    Ich hatte große Lust, aus dem Wagen zu steigen und ihm einen Tritt ins Kreuz zu versetzen, um die Verlegenheitspause auf gute Art zu überbrücken. Ich unterdrückte meine Gelüste, zog mein Taschentuch und rieb mir im Rückspiegel die deutlichen Spuren Hansis von der Wange, zwei Abdrücke, von denen der obere sehr deutlich die schöne Kurve ihrer Lippe mit der sanften Kerbung des Bogens sehen ließ. Das Taschentuch duftete hinterher schwach fruchtig nach den Himbeerbonbons, die ich als kleiner Knirps vor allen anderen bevorzugt hatte. Als ich den Hof verließ, ging
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