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Der Tod des Zauberers

Der Tod des Zauberers

Titel: Der Tod des Zauberers
Autoren: Horst Biernath
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darauf, ihm zu erwidern.
    »Also Servus derweil — ich geh’ jetzt zu Hansi hinauf. Und vergiß nicht, Sofie zu sagen, daß ich auch ihr guten Tag sagen werde. «
    »Sie wäre tödlich beleidigt, wenn du es vergessen würdest.«
    Sofie, mit der Betonung auf der zweiten Silbe des Namens, denn sie stammte aus Neidenburg in Ostpreußen und hieß mit vollem Namen Sophie Kalinna, lebte, so weit ich zurückdenken konnte, im Hause Stephan Textors. Vicky hatte sie in die Ehe mitgebracht. Wenn ich mich nicht irre, hatte Sofie schon ihren Eltern gedient und Vicky seit ihren Jugendjahren betreut und war so etwas wie Vickys Kammerfrau geworden, als Vicky vor ihrer Ehe mit Stephan Textor unter ihrem Mädchennamen Victoria Fleming auf den Brettern, die die Welt bedeuten, Ruhm und Erfolg geerntet hatte. Ich hatte sie nicht auf der Bühne gesehen, aber ich kannte ein paar Kritiken aus jener Zeit, die ihrer Darstellung des Gretchens, der Johannen von Shaw und Schiller, des Kleistschen Käthchens, der Luise Millerin und der Ophelia so viel begeistertes Lob spendeten, daß es mir eigentlich unverständlich war, weshalb sie sich sofort nach der Heirat für immer von der Bühne zurückgezogen hatte. Denn Textor war kein Tyrann und ein glühender Verehrer jeder echten künstlerischen Leistung.
    Sofie jedenfalls besorgte seit undenklichen Zeiten den Textors den Haushalt, hatte die Kinder großgezogen und kochte, daß es eine Lust war, im Schlößl zu Gast zu sein. Sie hatte die Fünfzig längst überschritten, aber sie besaß eine erstaunliche Robustheit, trotz ihres Leidens, hinter das ich erst nach langen Jahren gekommen war, als ich einmal für mehrere Wochen allein mit ihr auf Per-tach gehaust und das Georgischlößl mit seinen wertvollen Kunstschätzen bewacht hatte. Meinen Wunsch, mit ihr zusammen in der Küche essen zu dürfen, da es mir allein nicht schmeckte, hatte sie nie erfüllt und mir hartnäckig mein Essen im Speisezimmer serviert. Und als ich ebenso hartnäckig darauf bestand, in Gesellschaft zu essen, da hatte sie mir erklärt, daß ich mich vor ihr »grausen« würde, denn es sei ihr unmöglich, eine feste Speise zu schlucken. Sie hatte als Kind in einem unbewachten Moment die Flasche mit Essigessenz erwischt und sich die Speiseröhre so schwer verätzt, daß sie infolge der Verengung des Schlundes gezwungen war, alles, was sie genoß, durch die Fleischmaschine zu drehen und in winzigen Bissen zu schlucken. Unter dieser Säureverätzung hatten auch Kehlkopf und Stimmbänder gelitten. Sie sprach ein wenig heiser, und ihre Stimme ähnelte jener von Leuten, die durch eine Kanüle zu atmen gezwungen sind. Ihrer äußeren Erscheinung nach, die noch durch diese rauhe Stimme unterstützt wurde, hätte man sie für ein Mannsbild halten können, das sich zum Spaß ein Frauengewand angelegt und den fehlenden Busen mit zwei Kopfkissen von beachtlicher Größe ausgestopft hatte. Dabei war sie butterweich und eine Seele von Mensch, die nicht nur für ihre eigentliche Herrin, sondern für jeden durchs Feuer ging, den sie ins Herz geschlossen hatte.
    Ich ging noch einmal ins erste Stockwerk hinauf, wo Hansi am Ende des langen Korridors ein Zimmer mit dem Blick nach Südosten hatte. Bei Föhn konnte man über den bewaldeten Hügeln die mächtigen Massive des Watzmann und Hochkalter entdecken, wie mit Rötelkreide an den Horizont gemalt und an den Gipfeln und Gletschern kristallen überkrustet. Wie alle Zimmer des Hauses war auch ihres mit den erlesensten Möbeln ausstaffiert, aber während die anderen einfach aus Raumnot und Platzmangel mit Kostbarkeiten überladen waren, hatte sie es trotz der Proteste ihres Vaters fertiggebracht, alles Überflüssige zu verbannen und aus ihrem Zimmer ein wahres Kunstwerk zu machen, dessen Hauptstücke ein prachtvoller Tintoretto und ein zart kolorierter Entwurf zu einem kolossalen Deckengemälde von Tiepolo waren.
    Was ich nie erwartet hatte und was mir einen Augenblick den Atem raubte, denn schließlich war ich mit meinen achtunddreißig Jahren durchaus noch nicht über jenes Alter hinaus, in dem man für die Reize solch eines entzückenden Geschöpfes unempfänglich ist- als ich meinen Namen nannte, riß Hansi die Tür auf und stürzte in meine Arme.
    »Ach, Onkel Paul...«
    Ich drückte sie ein wenig an meine Brust, streichelte sanft ihren Rücken, spürte, daß mein Hemdkragen von einem nervösen Tränenstrom feucht wurde, und murmelte: »Nananananana!« weil mir kein gescheiterer Trost einfiel
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