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Der Tod des Zauberers

Der Tod des Zauberers

Titel: Der Tod des Zauberers
Autoren: Horst Biernath
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mehr Kenntnisse erwirbt und Fremdsprachen lernt, besonders Fremdsprachen!«
    Mir war, als hörte ich Stephan Textor selber reden. Er besaß wirklich einen sechsten Sinn für Antiquitäten und fand, wenn er in Toledo ein Stück alte Leinwand kaufte, um sie unter einen geflickten Autoreifen zu schieben, todsicher einen Greco darauf. Aber wenn man sein Glück erwähnte, klopfte er an Holz, spie dreimal über die linke Schulter und behauptete, Glück wäre nichts, fließendes Spanisch oder Italienisch wäre alles. Er war tatsächlich ein Sprachgenie und beherrschte nicht nur ein halbes Dutzend Umgangssprachen, sondern auch ebenso viele Dialekte. Ich hatte es bei einer gemeinsamen Reise nach Sizilien erlebt, es gab keinen Sizilianer, der ihn nicht für einen Landsmann gehalten hätte. Das wirkte sich bei den Hotelpreisen sehr vorteilhaft aus...
    Ich verabschiedete mich von Victoria und bat sie, mich zu benachrichtigen, falls Stephan Wünsche habe, die ich rasch erledigen könne, oder falls sie mich sonst irgendwie brauchen sollte. Sie entschuldigte es mit ihren heftigen Kopfschmerzen, daß sie mir nichts angeboten habe und daß sie mich schon so bald gehen ließe, aber ich sollte keine Umstände machen und es Sofie sagen, falls ich einen Kaffee oder einen Imbiß wünsche. Ich hatte den Eindruck, daß sie drückende Sorgen und das zwingende Bedürfnis nach einer vertraulichen Aussprache hatte, ohne daß sie den Mut dazu aufbrachte. Und ich hatte nicht die Absicht, mich in ihre Geheimnisse mit Gewalt hineinzudrängen. Vielleicht waren es finanzielle Sorgen, die sie bedrängten, und diese hätte ich ihr bei meinen Einkünften nur zu einem sehr geringen Teil abnehmen können. Gewiß, Stephan Textor war kein armer Mann. Aber es war durchaus möglich, daß ihm größere flüssige Mittel fehlten, weil er jeden Pfennig in seine Neuerwerbungen steckte, und dieses Kapital lag auf Jahre hinaus fest. Vielleicht machte Victoria sich darüber Gedanken, woher sie die sicherlich recht hohen Summen für die Arzt- und Behandlungskosten in der erstklassigen, aber entsprechend teuren Privatklinik hernehmen sollte. Die Last eines Geschäftes, von dem sie ästhetisch sicherlich eine ganze Menge, praktisch und handelsmäßig aber so gut wie nichts verstand, ruhte nun auf ihren Schultern. Die einzige Unterstützung konnte sie noch bei Hansi finden, die von ihrem Vater ein erstaunlich sicheres Urteilsvermögen und einen über ihre Jahre hinaus entwickelten Instinkt geerbt hatte, auf jene Winzigkeiten zu stoßen, durch die sich echte Stücke von oftmals geradezu genial nachgearbeiteten Fälschungen unterschieden, auf die hereinzufallen auch ihrem Vater zuweilen nicht erspart blieb. Und immerhin hatte sie jetzt zwei Jahre praktischer Erfahrungen im Kunsthandel hinter sich. Ich hätte Hansi gern gesprochen, aber ich bekam sie nicht zu Gesicht. Dafür erwartete mich Alexander vor dem Haus. Er saß auf der grün gestrichenen Gartenbank unter der bunten Statue des heiligen Georg und bastelte an seinem Angelzeug. Ein paar frisch geschliffene Haken bekamen neue Vorfächer aus Silk. Die dicken Tauwürmer, die er gegraben hatte, versuchten aus der Büchse zu krabbeln und sich wieder selbständig zu machen.
    »Nun, Onkel Paul, wie steht die Schlacht um Wartaweil?«
    »Du hast es wahrhaftig nicht mir zu verdanken«, antwortete ich ihm wahrheitsgetreu, »daß deine Mutter dich tatsächlich aus der Schule nehmen will. Ehe du zu jodeln anfängst, mein Junge, überlege es dir sehr gründlich, ob du wirklich ein paar Monate vor dem Abitur aussteigen willst. Ich hielte es, offen gesagt, für glatten Irrsinn!«
    Er jodelte keineswegs, er zog den Silk aus dem Mund, wo er ihn eingeweicht und geschmeidig gemacht hatte, und knüpfte ihn kunstgerecht um den Haken. »Ich habe es mir genau überlegt, Onkel Paul. Wenn Abitur und Studium mir auch nur die geringste Chance böten, in meinem Beruf mehr zu erreichen, würde ich in den sauren Apfel mit Vergnügen hineinbeißen. Aber sie nützen mir nichts. Sie halten mich nur auf. Und es ärgert mich einfach, daß Hansi mir schon um zehn Nasenlängen voraus ist. Ich brauche Praxis, verstehst du? Paps soll mich nach Paris, nach Rom und nach Madrid schicken, da lerne ich das, was ich brauche.«
    »Hm, Kunsthandel...«, sagte ich und dehnte das Wort, »sag mal, findest du, daß das ein echter Beruf für einen jungen Mann wie dich ist?«
    Er zog den Knoten stramm, daß der butterweiche, aber unglaublich zähe Silk ihn ins
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