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Der Teufel von Mailand

Der Teufel von Mailand

Titel: Der Teufel von Mailand
Autoren: Martin Suter
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Papageienkrankheit?«
    »Die haben Tauben auch.«
    »Tauben hasse ich auch.«
    »Wie gesagt: Pavarotti ist nicht verhandelbar.«
    »Pavarotti? So laut?«
    »So dick.«
    Sonias neue Chefin lachte. »Dann nehmen Sie den Scheißvogel halt mit.«
    Wenig hätte gefehlt, und Pavarotti hätte den Lauf der Dinge verändert.
    Drei Uhr nachmittags und fast schon Abend. Ein rußgrauer Himmel lastete schwer auf der Stadt und ließ eine Mischung aus Regen und Schnee auf die wettergeplagten Passanten nieseln. Der April war seinem Ruf als wechselhafter Monat nicht gerecht geworden: Bis heute war er beständig gewesen. Beständig schlecht.
    Sonia kaufte einem entmutigten Mann aus einem Land mit mehr Sonne eine Arbeitslosenzeitschrift ab, bestimmt die fünfte oder sechste dieser Ausgabe, die sie erwarb, und betrat das Warenhaus. Sie war fast die einzige Kundin, die durch die glitzernde Parfümerieabteilung ging, vorbei an den festlich geschminkten Verkäuferinnen. Auch sie nicht viel zuversichtlicher als der Arbeitslose vor dem Eingang.
    Sonia war am thailändischen Imbiß in der Lebensmittelabteilung mit Malu verabredet. Am Nachmittag seien da kaum Leute, und man könne sich ungestört unterhalten. Sonia vermutete, Ort und Zeitpunkt dieser Verabredung hätten mehr mit dem Tagesablauf ihrer Freundin zu tun und deren momentaner finanzieller Lage.
    Als Sonia auf den Imbiß zusteuerte, sah sie von weitem, daß Malu schon da war.
    Malu war eine große, laute Blondine mit einer Vorliebe für Rosa und Violett. Sie war die einzige Person aus Sonias früherem Leben, mit der sie noch Kontakt hatte. Malu hieß eigentlich Vreni und hatte das Kunststück fertiggebracht, hintereinander mit drei verschiedenen Männern aus Frédérics Bekanntenkreis liiert gewesen zu sein, ohne aus diesen Kreisen ausgeschlossen zu werden. Dafür hatte Sonia sie immer bewundert. Nicht, daß sie auch nur die geringste Lust gehabt hätte, es ihr gleichzutun, einer von der Sorte hatte ihr vollauf genügt. Aber daß Malu es schaffte, sich einen Dreck um die Konventionen dieser Leute zu kümmern und trotzdem von ihnen akzeptiert zu werden, verdiente Sonias Hochachtung.
    Malu war auch die einzige, die sie nicht wie einen Paria behandelte, nachdem sie sich von Frédéric abgesetzt hatte. Sie trafen sich nach wie vor zum Mittagessen, und sie war es auch gewesen, die Sonia in das Clubleben der Stadt eingeführt hatte. Malu war immer der Meinung gewesen, eine Frau sollte ein Privatleben haben, besonders, wenn sie in festen Händen war.
    So war es denn auch Malu, die als erste von Sonias Plänen erfuhr. Sie billigte Sonias Entscheidung nicht. »Keinen Fußbreit, erinnerst du dich?«
    »Ich weiche nicht, ich will nur mein Leben ändern. Das hier tut mir nicht gut.« Sonia erzählte ihr von ihrem LSD -Trip.
    »Du hast Farben gerochen und Stimmen gesehen? Und beklagst dich? Gib mir die Adresse von dem Typen.«
    »Es war kein gutes Erlebnis.«
    »Deswegen mußt du doch nicht gleich in der Versenkung verschwinden.«
    »Es ist das Gegenteil von Versenkung. Ich gehe in die Höhe. Berge, Höhenluft, Sonne und den ganzen Tag Wellness.«
    »Wellness für die andern, du knetest die Hängeärsche.«
    »Ich bin Physiotherapeutin, nicht Masseuse.«
    »Sonia, tu ihm den Gefallen nicht. Laß dich nicht vertreiben.«
    »Erst wenn ich weg bin, glaubt er, daß ich nicht zu ihm zurückkomme.«
    »Du hast keine Ahnung von Männern. Er will dich nicht zurückhaben. Er will nur derjenige sein, der Schluß macht. Glaub einer alten Frau.« Malu bezeichnete sich als alte Frau, seit sie ihren vierzigsten Geburtstag nicht gefeiert hatte. Vor einem halben Jahr.
    »Mir ist lieber, ich bin nicht in der Nähe, wenn sie ihn rauslassen.«
    »So bald lassen sie den nicht raus.«
    »Sie dürfen ihn nicht länger behalten, als seine Strafe dauern würde.«
    »Der Mann ist geisteskrank. Eine Gefahr für die Gesellschaft.«
    »Nur für einen winzigen Teil der Gesellschaft. Mich.«
    Eine junge Thailänderin in einer Seidenbluse mit Stehkragen brachte Sonias Tom Yang Gung. Sie beugte sich über die Schale und sog den Duft ein. Er roch rotgelb und fühlte sich an wie eine spitz zulaufende Spirale.
    »Ist was mit der Suppe?« fragte Malu besorgt. Sie hatte sie empfohlen, aber für sich selbst Saté-Spießchen bestellt.
    »Nein, sie riecht wunderbar.« Sonia tauchte den Porzellanlöffel ein, ließ ihn etwas abkühlen und versuchte. Es war, als schlürfte sie eine brennende Wunderkerze. Silberne Funken füllten ihre
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