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Der Teufel von Mailand

Der Teufel von Mailand

Titel: Der Teufel von Mailand
Autoren: Martin Suter
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sollen«, fand der Fahrer.
    »Vielleicht«, antwortete Sonia. Dann wartete sie stumm, bis der Polizist sie durchwinkte.
    Vor dem Haus, in dem sie wohnte, stand ein Kastenwagen. »Kohler«, stand auf der Seite, »Umzüge und Selbstumzüge«. Das »O« von »Kohler« war ein gelber Smiley. Auf dem Asphalt hinter der Ladefläche warteten ein paar schäbige Möbelstücke darauf, verstaut zu werden.
    Alle Möbel sehen schäbig aus, wenn sie hinter einem Möbelwagen stehen, dachte Sonia. Als sie hier einzog, hatte sie gehofft, daß niemand aus ihrem Bekanntenkreis sie beobachtete. Das Risiko war allerdings klein gewesen. Die Leute, die Sonia kannten, mieden diese Gegend. Das war einer der Gründe, weshalb sie hierher gezogen war, obwohl sie sich etwas Besseres hätte leisten können.
    Sie bezahlte das Taxi und stieg aus. Der Fahrer hielt es nicht für nötig, ihr die Tür zu öffnen, obwohl sie ihm ein Trinkgeld gegeben hatte. So hielt sie es eben auch nicht für nötig, die Tür wieder zu schließen. Sie verstand nicht, was er ihr nachrief.
    Im Treppenhaus mußte sie ein paar Stufen zurück, um zwei jüngere Männer mit einem roten Sofa durchzulassen. Den einen der beiden kannte sie vom Sehen. Wenn sie nicht so kaputt gewesen wäre, hätte sie »Ziehen Sie aus?« oder sonst etwas Geistreiches gesagt.
    Als sie die Wohnung betrat, fing es bereits an zu dämmern. Wieder ein Tag vorbei, den sie gern aus der Erinnerung löschen würde. Aus dem Wohnzimmer drang das metallische Geräusch, das entstand, wenn Pavarotti in seinem Käfig herumturnte. Sie ging zu ihm und nahm das Tuch weg. »Entschuldige, Pavarotti, ich bin eine Schlampe.«
    Sie gab ihm frisches Wasser und frisches Futter und klemmte einen neuen Hirsekolben zwischen die Stäbe. »Schlampe«, flötete sie, »sag Schlampe.«
    Im Schlafzimmer brannte Licht, auf dem ungemachten Bett lagen die Kleider, die sie anprobiert und verworfen hatte, als sie sich gestern zum Ausgehen kleidete. Im Glas auf dem Schminktisch war noch ein Schluck des Champagners, mit dem sie sich in Partystimmung gebracht hatte.
    Die Küche sah nicht viel besser aus als die, in der sie sich vor einer Stunde nackt wiedergefunden hatte. Im Kühlschrank fand sie eine Flasche mit einem Rest Mineralwasser, aus dem längst die Kohlensäure entwichen war.
    Sie zog sich aus und warf ihre Wäsche in den Korb im Bad. Im Waschbecken lagen ein paar Slips im Wasser. Die Seife des Handwaschmittels hatte sich auf dem schwarzen Material als weiße Schicht abgelagert. Wie Kreide auf dem Meeresgrund.
    Sonia zog den Duschvorhang zurück, drehte an den Duschhahnen, bis die Temperatur stimmte, kletterte in die Sitzbadewanne, stellte sich unter den fast zu heißen Wasserstrahl und fing an zu heulen.
    Ein langgezogener Schrei riß sie aus dem Schlaf. Sie stand auf, zog ihren Kimono an, ging zur Wohnungstür und öffnete sie einen Spalt weit. Vom Treppenhaus drang das untröstliche Weinen einer Frau herauf. Und ab und zu die barsche Stimme eines Mannes.
    Sonia verriegelte die Tür wieder und ging ohne Zögern zum Telefon. Sie wählte den Notruf der Polizei. »Amboßstraße hundertelf, erster, zweiter oder dritter Stock, da braucht eine Frau Hilfe.«
    Während sie am Fenster stand und auf den Streifenwagen wartete, kamen die Bilder.
    Die zerberstende Scheibe neben der Türklinke.
    Die Hand, die hereinfaßte.
    Der noch blutleere tiefe Schnitt zwischen Daumen und Zeigefinger.
    Die Hand, die nach dem Wohnungsschlüssel tastete.
    Der Schnitt, der plötzlich blutete.
    Die Speichelfäden in den Mundwinkeln, wie damals, als er bei der Beförderung zum Leiter Private Equity übergangen wurde.
    Das Blut. Überall das Blut von Frédérics Hand und ihrer Lippe.
    Blut auf der frischen Dispersionsfarbe. Blut auf seinem weißen Hemd. Blut auf ihrem weißen Maler-Overall.
    Immer wieder die drei Worte. Drei scharf geschliffene, stahlglänzende Dreiecke: Ich. Kill. Dich.
    Das schneeweiße Trägerhemd auf der schwarzen Haut eines der Senegalesen vom vierten Stock.
    Frédérics Blut auf dem Weiß dieses Hemdes, rund und rot wie auf der japanischen Flagge.
    Die Offizierspistole aus Frédérics linker Schreibtischschublade.
    Frédéric mit dem Gesicht zum Boden.
    Die Handschelle am Gelenk seiner blutenden Hand.
    Noch immer drang das Weinen vom Treppenhaus herauf. Weit hinten in der Amboßstraße pulsierte ein blaues Licht, kam näher und näher, bis sie den Streifenwagen sah. Ohne Sirene näherte er sich dem Haus, langsam wie die Eskorte eines
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