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Der Tag wird kommen

Der Tag wird kommen

Titel: Der Tag wird kommen
Autoren: Nina Vogt- stli
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will.
    »Morgen bist du dran mit Aussuchen«, sage ich. »Aber nimm bloß keinen, der allzu zäh und düster ist. Morgen ist schließlich Samstag.«
    Meine Mutter rutscht ein bisschen auf dem Sofa herum und macht ein unglückliches Gesicht.
    »Ach, ich habe wohl ganz vergessen, dir zu sagen, dass ich morgen weggehe? Ich hoffe, das ist okay für dich.«
    »Weg? Gehst du aus, oder wie?«
    »Ja, macht das was? Ich habe eine Verabredung, aber die kann ich auch verschieben. Wenn du es öde findest, an einem Samstagabend allein zu Hause zu sitzen.«
    Ich winke ab.
    »Quatsch, ich brauche doch keinen Babysitter.«
    Ich hatte einfach angenommen, sie würde zu Hause sein. Das ist sie ja so gut wie immer. Mich stört nur, dass sie bis zum letzten Moment damit gewartet hat, es mir zu sagen. Als hätte ihr davor gegraust. Als hätte sie Angst, ich könnte in Tränen ausbrechen. Ich würde gern fragen, wohin sie geht, aber dann sieht es so aus, als würde es mir doch was ausmachen.
    »Dann kann ich mir ja morgen noch einen Film aussuchen, besser geht’s doch gar nicht.«
    »Du bist nicht sauer? Ich kann das bestimmt auch verschieben.«
    »Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Es ist okay. Toll.«
    Glaubt sie wirklich, ich will, dass sie ihre Verabredung absagt, um mir an einem Samstagabend Gesellschaft zu leisten? Für wie kindisch hält sie mich eigentlich?
    »Bist du ganz sicher? Du hast gerade so enttäuscht geklungen.«
    »Ich war nur überrascht. Du bist ja sonst immer zu Hause. Es tut dir gut, wenn du mal wieder rauskommst.«
    »Stimmt, das letzte Mal ist schon eine Weile her.«
    »Du solltest ja auch nicht zu abhängig von mir werden.«
    Mum trinkt ihren Rotwein aus und lächelt mich mit blauen Zähnen an. Aber ich sehe, dass sie ein bisschen traurig ist.
    »Mit Mama zusammen Filme gucken, ist wohl bald die ätzendste Sache der Welt«, sagt sie und fürchtet sich anscheinend vor dem Augenblick, an dem es so weit ist. Dabei wissen wir beide, dass es schon jetzt die ätzendste Sache der Welt sein müsste. Vielleicht hat sie mehr Angst davor, dass ich in zehn Jahren noch hier hocke, als dass ich bald zu Hause ausziehe und sie allein zurücklasse.
    »Vorsicht, sonst schaue ich mir die Filme allein am PC an«, sage ich und gähne, um zu zeigen, dass ich jetzt ins Bett muss.

Der Abend fing so gut an. Ich hatte Popcorn gemacht. Im Topf, nicht dieses blöde Mikrowellenzeug. Es wurde perfekt, nicht angebrannt oder so. Ich kippte es in eine Schüssel und schüttete ordentlich Salz drüber. Auf dem Couchtisch vor dem Fernseher lag eine Riesentafel Luftschokolade und daneben standen anderthalb Liter Cola.
    Ich hatte mir vorgenommen, Alien zu gucken, weil ich nun schon mal bei Ridley Scott war und weil Mum den sicher zu gruselig findet. Tja, so was passiert eben, wenn man Jugendliche allein zu Hause lässt. Dann schauen sie sich Gruselfilme an, von denen sie Albträume bekommen.
    Aber als das erste Monster aus dem Bauch springt, bin ich mir nicht mehr sicher, ob das nicht doch etwas zu heftig ist. Die Sache mit Andreas steckt mir immer noch in den Knochen. Vielleicht wäre einer von diesen ewig dauernden, zähen Filmen über traurige Sachen, die am Ende gut ausgehen, heute besser gewesen.
    Ich schalte den Fernseher aus. Es ist so unglaublich still, wenn man allein zu Hause ist. Und als ich erst angefangen habe, mich unwohl zu fühlen, bilde ich mir plötzlich ein, dass ich draußen jemanden vor dem Fenster sehe. Nicht, dass ich an Gespenster glaube oder an Aliens oder Axtmörder. Aber trotzdem. Das Wohnzimmer ist mit einem Mal voller dunkler Ecken, und der alte Pflaumenbaum im Garten, der immer noch faulige Pflaumen fallen lässt, sieht im Herbstdunkel aus, als würde er etwas verbergen.
    Dass Mum sich gar keine Sorgen um mich macht. Ich könnte schließlich eine ganze Truppe von Leuten einladen und den Karton Rotwein leer machen, der oben auf dem Kühlschrank steht. Oder ich könnte heimlich aus dem Fenster rauchen und dabei die Gardinen in Brand setzen. Oder ich könnte bewusstlos werden, mir den Kopf an einer scharfen Kante aufschlagen und langsam verbluten, während sie sich in der Stadt amüsiert.
    Ein Glück für sie, dass ich so vernünftig bin. Am besten ist es wohl, wenn ich jetzt ein wenig am Computer zocke.
    Ich schleiche die Treppe nach oben und schalte alle Lampen in meinem Zimmer ein. Das Licht hilft gegen das dumme Gefühl, dass mich jemand anstarrt oder sich irgendwo versteckt. Ich mache den PC an und lade das
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