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Der Tag wird kommen

Der Tag wird kommen

Titel: Der Tag wird kommen
Autoren: Nina Vogt- stli
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gewartet.
    Wie ich die Sache sehe, habe ich nur drei Möglichkeiten:
Im Flur ausharren, bis er geht,
mich an ihm vorbeidrängen,
Gunnar hinterherrennen und versuchen, ihn zu erwischen, bevor er im Lehrerzimmer verschwindet.
    Nummer zwei wäre auf den ersten Blick wohl die dümmste Wahl. Das würde Körperkontakt bedeuten, und zwar mit einem Typen, der mir garantiert nichts Gutes will. Aber von allein wird Andreas nicht weggehen. Je länger ich zögere, desto unangenehmer wird es. Und wenn ich Gunnar hinterherlaufe, wird alles beim nächsten Mal nur noch schlimmer. Dann schnappen sie mich morgen früh oder sie warten vor der Schule. Also doch Nummer zwei.
    Ich nehme innerlich Anlauf. Andreas bemerkt es, denn sein Mund verzieht sich zu einem fiesen Grinsen. Er streckt die Arme nach beiden Seiten aus und stemmt sie gegen den Türrahmen.
    Es gibt kein Zurück mehr. Ich darf jetzt nicht kneifen. Das muss alles in einer einzigen Bewegung passieren. Ich ziehe den Bauch ein, senke den Kopf und probiere es auf der rechten Seite. Den Rücken zu Andreas gewandt, versuche ich, mich seitlich durchzuquetschen. Er rührt sich nicht, aber es fühlt sich an, als würde er wachsen, während ich mich gegen seine dicken Arme presse. Es wird enger. Ich spüre, dass es jeden Moment passiert – eine Klaue, die mich im Nacken packt –, und es läuft mir kalt über den Rücken. Aber da kommt nichts.
    Ich schiebe mich vorbei, stolpere über den Fuß von jemandem und falle draußen die drei Treppenstufen runter. Gelächter hagelt auf mich herab, aber das ist mir egal. Ich bin draußen. Ich stehe auf und mache, dass ich wegkomme. Andreas ist hinter mir.
    Während ich eilig nach Hause laufe, treibt mir der scharfe, frische Herbstwind die Tränen in die Augen. Als wollte auch er mir sagen, dass es keinen Ausweg für mich gibt.
    Meine Schritte hasten über den Asphalt. Steht mir das wieder bevor? Täglich gequält und gedemütigt zu werden?
    Die letzten Wochen in der Grundschule waren bisher die schlimmsten in meinem ganzen Leben. Andreas wartete jeden Tag auf mich. Als wäre es sein morgendliches Training, mich zu verprügeln. Ich hatte keine Lust, zum Sommerabschlussfest zu gehen. Die Vorstellung, dass meine Mutter dort mit den anderen Müttern stehen und sich zwingen sollte, nett zu sein, war für mich unerträglich. Ich schwänzte die beiden letzten Wochen. Hatte keinen Bock mehr, lag nur im Bett und starrte nach draußen in den Sonnenschein. Mum ließ mich in Ruhe, und ich glaube nicht, dass es in der Schule jemanden kümmerte. Sie waren sicher froh, dass ich weg war, dass ich bald das schlechte Gewissen einer anderen Schule sein würde.
    Der Wechsel von der siebten Klasse in die Mittelstufe war so was wie meine Rettung. Ich fand einen Weg, unsichtbar zu werden. Und ich bin stolz, dass es so gut funktioniert hat. Aber nun scheint meine Zeit abzulaufen. Vor mir liegen noch ein paar Monate bis Weihnachten und ein langes Frühjahrshalbjahr, bevor ich die Mittelstufe hinter mir habe. Ich brauche einen neuen Plan.
    Meine Gedanken drehen sich im Kreis. Ich setze mich an meinen PC. Zocken ist das Einzige, was hilft, um den Kopf frei zu kriegen.
    Auf Strategiespiele stehe ich am meisten. Bis zum Abendessen gibt es einiges zu tun: eine Invasion starten, Technologien entwickeln und andere dringende Regierungsaufgaben erledigen. Aber noch bevor ich das Spiel-Icon anklicken kann, taucht im Chat ein Name auf, den ich nicht kenne.
    Fera:
    Hallo
    Das ist merkwürdig. Meine Kontaktliste ist kurz und übersichtlich. Dieser Name ist definitiv nicht dabei.
    Fera:
    Bist du da?
    Fera. Klingt ungewöhnlich. Wahrscheinlich ein Nickname.
    Fera:
    Willst du reden?
    Ich überlege kurz. Ja, eigentlich hätte ich schon Lust, mit jemandem zu reden. Und ich möchte so gern, dass die Message für mich ist, auch wenn das überhaupt nicht sein kann. Also antworte ich.
    Hans Petter:
    Wer bist du?
    Fera:
    Ich bin Fera.
    Sie sieht auf dem Profilbild ein bisschen seltsam aus. Als würde sie es darauf anlegen, nicht stylish zu sein. Irgendwas passt nicht. Vielleicht steckt Andreas dahinter. Vielleicht ist es ein fieser Plan, um mich lächerlich zu machen.
    Nicht, dass ich Andreas zutrauen würde, sich eine solche Falle auszudenken. Mein Chat-Profil aufzuspüren. Ein Mädchen zu erfinden. Einen Plan auszuhecken. Langfristig zu denken. Aber besser, ich bin vorsichtig.
    Ich blocke sie nicht. Ich logge mich einfach aus.

Mum steht in der Küche und brät Fischfrikadellen. Ich war so
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