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Der Tag wird kommen

Der Tag wird kommen

Titel: Der Tag wird kommen
Autoren: Nina Vogt- stli
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ins Spiel versunken, dass ich nicht gehört habe, wie sie nach Hause gekommen ist, aber der Geruch hat seinen Weg die Treppe hinauf gefunden und mich nach unten gelockt. Zum Glück ist sie nicht der Typ Mutter, der meckert, wenn man zu viel am Computer sitzt.
    Mum und ich. Wir könnten nicht verschiedener sein. Obwohl wir uns schon ziemlich ähnlich sehen. Wir haben beide dünnes blondes Haar. Mum bläst ihres mit einem Föhn und tonnenweise Haarspray auf. Und sie hinterlässt roten Lippenstift auf allen Tassen und Gläsern, mit denen sie in Berührung kommt.
    Meine Mutter ist immer sichtbar, man kann sie unmöglich übersehen. Die Haare. Der Lippenstift. Die Stöckelschuhe. Nicht, dass sie so viel anders wäre als die anderen Mütter, aber bei ihr ist alles irgendwie ein bisschen mehr. Sie fällt auf. Und sie redet lauter. Als wollte sie wettmachen, dass sie bei den Elternabenden immer die Jüngste ist. Und diejenige ohne Bildung.
    Man muss es einfach mal so sagen: Mum ist nicht klug. Sie ist nicht direkt dumm, aber von schlichtem Verstand. Lieb ist sie, herzensgut. Aber ziemlich simpel gestrickt.
    Bei ihr stand ich immer im Mittelpunkt. Alles, was sie tat, tat sie für mich. Ich liebte es, dass sie mich abends fest umarmte, ihr Gesicht in meinen Nacken drückte und mir sagte, wie lieb sie mich hat. Das macht sie jetzt nicht mehr. Sie sagt zwar noch, dass sie mich lieb hat, aber mit dem Umarmen ist nun zum Glück Schluss. Sogar meine Mutter hat begriffen, dass man irgendwann zu groß dafür ist. Als das Mobbing in der Schule am schlimmsten war und Mum vergeblich dagegen ankämpfte, da waren ihre Umarmungen so erdrückend, dass ich mich ihr einfach entziehen musste. Ich hielt es nicht mehr aus, ihre rot geweinten Augen zu sehen.
    Sie lächelt mich an, als ich in die Küche komme. Ich erkenne sofort, dass sie etwas auf dem Herzen hat. Aber beim Essen sagt sie nichts davon. Sie redet nur über etwas, das sie in der Zeitung aufgeschnappt hat.
    Mum regt sich oft über Sachen auf, die sie liest. Sie hat zu allem eine Meinung. »Ein Hijab muss doch nicht notwendigerweise frauenunterdrückend sein, oder?«, fragt sie mich dann zum Beispiel, ohne eine Antwort zu erwarten. Oder sie regt sich darüber auf, dass es nicht genügend Schwimmunterricht für Kinder gibt. Oder dass der öffentliche Nahverkehr so schlecht ist. Oder sie will mit mir über Leihmütter diskutieren. Außer mir ist ja keiner da.
    Aber heute höre ich ihr gar nicht richtig zu. Ich hänge meinen Gedanken nach, während sie ihre tägliche Dosis Dampf ablässt, und warte geduldig, bis sie auf das kommt, worüber sie eigentlich reden will.
    »Gunnar hat mich heute angerufen.«
    Das sagt sie, während sie den Tisch abräumt. Ich erstarre. Der hat hier angerufen? Hat er etwas von der Sache mit Andreas mitgekriegt? Ich meine, eigentlich hat Andreas mich ja nicht mal angefasst …
    »Er sagt, dass er dich gern bei einem Projekt dabeihaben will, das er plant.«
    Ach, wieder dieses geheimnisvolle »Projekt«. Wieso muss er Mum da mit reinziehen? Will er sie benutzen, damit ich mitmache?
    »Ja, er hat heute so was erwähnt«, antworte ich.
    »Das hört sich doch gut an«, sagt sie lächelnd.
    Ich sollte vielleicht die Gelegenheit nutzen und fragen, was das eigentlich für ein »Projekt« ist, aber dann merkt Mum, dass ich weniger weiß als sie. Ich entscheide mich, auf eine möglichst vieldeutige Art die Schultern zu zucken.
    »Gunnar ist wirklich jemand, der sich kümmert. Ich bin so froh, dass du ihn als Vertrauenslehrer hast.«
    Sie lächelt, während sie Gunnars ach so guten Eigenschaften lobt. Dieser Blödmann. Macht einen auf verständnisvoller Superlehrer. Ich werde bei seinem »Projekt« garantiert nicht mitmachen. Ich kann nicht riskieren, dass mich irgendetwas sichtbarer macht, falls Andreas plötzlich auf die Idee kommen sollte, mich wieder als Zielscheibe zu benutzen. Ich muss nur aus der Sache rauskommen, ohne dass es auf Mum zurückfällt.
    »Kannst du den Abwasch übernehmen? Ich muss noch so viel lesen.«
    Ich nicke, stöhne aber dabei ein bisschen, damit ihr klar ist, dass ich heute mal eine Ausnahme mache. Ich kapiere nicht, wieso sie so viel lesen muss, aber das hat wohl mit ihrem Job zu tun. Und da sie mich mit dem Thema Hausaufgaben in Ruhe gelassen hat, kann ich ebenso gut eine Bratpfanne abwaschen.
    Ich mache so wenig Hausaufgaben wie möglich. Wenn du was für die Schule tust, werden die Lehrer auf dich aufmerksam, sie lesen deine Aufsätze
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