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Fuchsteufelswild

Fuchsteufelswild

Titel: Fuchsteufelswild
Autoren: Roland Krause
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Jagd
    D er Mann ist nackt.
    Was jetzt per se nicht erwähnenswert wäre – das ist unter der Dusche gängige Praxis. Allerdings ist dieser Zustand für ihn zur Gewohnheit geworden, seit er dieses Wochenende vorwiegend in Whirlpools, Dampfbädern und beim Saunieren samt balsamierenden Kräuterölen verbracht hat. Umgeben von anderen schwitzenden Leibern in allen Volumina und Schattierungen. Die Gattung Mensch ist eine variable Lebensform.
    Mit diesem archaischen Event hat den Münchner Hauptkommissar Sandner sein Freund, der Doktor Aschenbrenner, beglückt. Seines Zeichens Gerichtsmediziner, hat er dem Sandner zum Vierundvierzigsten ein Wellnesswochenende in Bad Kohlgrub geschenkt. Ein skeptisches Stirnrunzeln nebst geseufztem »Dankschön« hat es ihm eingebracht. Nicht gerade Hawaiihemd – als Präsent spielt der Hotelgutschein aber für den Sandner in der gleichen Liga.
    Vielleicht hat sich der Doktor gedacht, dem Kriminaler fehle ein Auffrischungskurs in menschlicher Anatomie.
    Jedenfalls hat der Sandner so viel bestens durchblutetes Fleisch vor Augen gehabt, dass er gar nicht zum Nachdenken gekommen ist, in welch phantasievollen Kompositionen es ihm sonst als Mordermittler kredenzt wird. Auch ein Entspannungseffekt, neben den Massagen mit den wunderlichen Attributen, bei denen dir suggeriert wird, du gewinnst durch jeden Hauch einer Berührung ein Lebensjahr hinzu. Vom derben hawaiianischen Durchwalken ganz zu schweigen.
    Weich kommt sich der Sandner vor, wie ein fettiger Reiberdatschi, durchtränkt von Vitalessenzen, bis hinauf ins Hirnstüberl. Der Münchner Wahnsinn ist weggeputzt, blank gewienert, die Gedanken frisch gepeelt. Nach ausgiebigem Frühstück würde er sich hüllenlos durch den Tag treiben lassen.
    V on Bad Kohlgrub hat er noch nicht viel entdecken können. Gerade einmal den Ortskern in der Senke, wo lüftlbemalte Ziegeldachhäuser den Kirchplatz umzingeln wie drängelnde Schrazen um die beste Sicht beim Seehundbecken in Hellabrunn. Ein Kaleidoskop bukolischer Lebensentwürfe und Behausungen. Die Kurärzte für die Runderneuerung geiern in erhabenen Horten über steinernen Zeugen althergebrachtem Bauerntums mit Gästehäusern und kleinen Lädchen gepaart.
    Die Arbeit geht dir hier nicht aus. Freilich kommt die Dorfkulisse geschniegelt daher, aber selbstverständlich und einnehmend schaut es aus. Du musst dich ja selbst noch daheim fühlen, wenn du geschäftig Hand anlegen sollst bei der nach Erbauung lechzenden Fremdenlegion. Die wird durch ein Kurhaus nebst Park und üppigen Wegbeschilderungen gefüttert.
    Die Leut hier wissen, was sie haben. Eine Bergkulisse, die dir den Atem raubt, weil das Felsmassiv dich mit erhobenen steinernen Fingern an deine Rolle als kurzlebiger Winzling erinnert. Gemeinsam mit dem Fichtenwaldmeer und dem Moor bildet es ein lebendiges Triumvirat, welches dem Leben hier seinen Stempel aufdrückt.
    Das Moor mit seinen Tümpeln und federnden Wiesen umgibt den schlummernden Ort als braungrün gesprenkelter Bettvorleger. Blau lackierte Bagger scharren wie gierige Hühner und kratzen Male in den schwarzen Grund. Beinernen Moorgeistern gleich begegnen sie dir am Wegesrand, winken dir zu mit ihren krallenbewehrten Schaufelarmen. Als der Torf in früheren Zeiten mühsam gestochen wurde, ist es hartes Brot gewesen, ans Eingemachte zu kommen. Dennoch gibt die Natur hier die freigiebige Schatztruhe – ein wenig zu besitzergreifend, wenn sie zur Abwechslung einmal wen umschließen darf mit ihrer schwarzen Brühe. Nach so einer Heilschlammpackung bist du ein ganz neuer Mensch – wenn man den Gedanken der Wiedergeburt aufgreift.
    Achtzig Kilometer raus aus München, ein motorisierter Katzensprung, aber es ist, als hätte sich der Sandner auf einen anderen Planeten gebeamt. Einen grünen, frischen, der noch nicht keucht unter dem gebenedeiten Gigantismus, der wahlweise Lärmschutzwälle, Plastikburger und Spinnenphobien gebärt.
    Von Henry David Thoreau ist der Satz überliefert: »Ich liebe die Natur, weil sie nicht Mensch ist, sondern Zuflucht davor.« Der ist im Sommer nie in München an den Isarauen gewesen, sonst hätte er das Sprücherl flugs hinuntergewürgt. Leib an Leib an Leib, wie die Laibe beim Hofpfister im Regal. In Bad Kohlgrub kannst du dir von den Leuten zuerst einen optischen Eindruck verschaffen, bevor du sie riechen und
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