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004 - Kerry kauft London

004 - Kerry kauft London

Titel: 004 - Kerry kauft London
Autoren: Edgar Wallace
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Kapitel 1
    Die Nacht war über das Westend von London hereingebrochen. Es war spät, und die Vorstädte lagen um diese Zeit wohl schon in tiefes Dunkel gehüllt - eine tote Wüste, in der sich nur die hellerleuchteten Lokale abhoben -, aber auf dem Strand drängte und schob sich langsam eine auf die Geheimnisse des Nachtlebens neugierige Menge, eines Nachtlebens, das die Romanschriftsteller so schön darzustellen wissen, das aber den, der es kennenlernt, so oft enttäuscht.
    Geld - Geld - Geld. Die Inhaltsübersichten der Zeitungen spiegelten den Geist des Westens wider: »Eine bekannte Schauspielerin verliert Juwelen im Wert von zwanzigtausend Pfund«, hieß es in der einen; »Schiffahrtsabkommen über fünf Millionen«, in einer anderen. Die größte Aufmerksamkeit erregte aber doch die zündende Überschrift, die der Monitor brachte:
    KING KERRY WILL LONDON KAUFEN. Sonderbericht.
    Diese Ankündigung lockte Kupfermünzen aus Taschen heraus, die kaum je etwas anderes als Kupfergeld kannten. Sie veranlaßte eilige Männer, die sonst gegen die Schaumschlägereien solcher Inhaltsangaben gefeit waren, plötzlich stehenzubleiben. Und auch die Reichen fühlten sich bemüßigt, ihre Neugier zu befriedigen. »King Kerry will London kaufen«, sagte der eine Herr. »Ich wollte, er kaufte dieses Lokal und steckte es in Brand«, brummte ärgerlich der andere, während er mit der Gabel auf den Tisch klopfte. »Kellner, wie lange soll ich denn noch warten, bis Sie die Bestellung aufnehmen?« »Einen Augenblick, Sir.«
    Ein großer, gutaussehender Herr, der am nächsten Tisch saß und in diesem Augenblick die volle Aufmerksamkeit des Kellners in Anspruch nahm, lächelte, als er dieses Gespräch hörte. Sein graues Haar ließ ihn viel älter erscheinen, als er in Wirklichkeit war; das kümmerte ihn aber wenig, da er über das Alter hinaus war, in dem er sich viel mit seinem Aussehen beschäftigt hatte.
    Viele Augen richteten sich auf ihn, als er sich nach Begleichung seiner Rechnung vom Stuhl erhob.
    Er schien die Aufmerksamkeit, die er erregte, nicht zu bemerken oder, wenn es doch der Fall war, sich nicht darum zu kümmern, und schritt, eine dünne Zigarre zwischen den gleichmäßigen weißen Zähnen, durch den dichtbesetzten Raum in die Vorhalle des Restaurants.
    »Wahrhaftig!« rief der Herr, der sich soeben über die Unaufmerksamkeit des Kellners beklagt hatte. »Da ist ja der Kerl selbst!« und drehte sich auf seinem Stuhl herum, damit er dem Hinausschreitenden nachschauen konnte.
    »Wer?« fragte sein Freund und legte die Zeitung beiseite.
    »King Kerry, der amerikanische Millionär.«
    Inzwischen war dieser durch die Drehtür auf die Straße getreten und verschwand gleich darauf im Gedränge.
    In einiger Entfernung folgte ihm ein gutgekleideter jüngerer Herr mit hübschem Gesicht und einem unverkennbaren Anstrich von Vornehmheit.
    Er schickte dem Millionär finstere Blicke nach, machte aber nicht den Versuch, ihn einzuholen oder an ihm vorbeizugehen, sondern schien sich damit zu begnügen, ihm in einiger Entfernung zu folgen. King Kerry ging zum Haymarket hinüber und durch eine abschüssige Straße in die Cockspur Street.
    Sein Verfolger war schlanker, aber gut gebaut. Er machte eigenartig kurze Schritte, was seinem Gang fast etwas Geziertes gab. Ihm fehlte der Schwung der Schultern, die man gewöhnlich mit der Vorstellung eines gutgebauten Mannes verbindet, und in seinem Gang lag eine gewisse Steifheit, die auf militärische Ausbildung schließen ließ. Im Schein einer Lampe, unter der er stehenblieb, als der Mann vor ihm seinen Schritt verlangsamte, sah man ein feines, geradezu hübsches Gesicht. In Hermann Zeberlieff erinnerte vieles an seine polnischungarische Abstammung, und dazu paßte auch sein hochmütiges aristokratisches Gebaren.
    King Kerry machte einen kleinen Verdauungsspaziergang, ehe er in seine Wohnung in Chelsea ging. Sein Schatten vermutete dies, und als King Kerry in das Embankment einbog, blieb sein Verfolger auf der anderen Seite der breiten Allee, denn er hatte keine Lust, dem Verfolgten Auge in Auge gegenüberzutreten.
    Das Embankment war öde und leer bis auf die paar Leute, die gewohnheitsmäßig in der Hoffnung auf milde Gaben hierherkamen.
    King Kerry blieb ab und zu stehen, um mit dem einen oder anderen der menschlichen Wracks zu sprechen, die sich auf dem breiten Bürgersteig umhertrieben, und seine Hand wanderte nicht einmal, sondern oft aus seiner Tasche zu einer ausgestreckten offenen
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