Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
004 - Kerry kauft London

004 - Kerry kauft London

Titel: 004 - Kerry kauft London
Autoren: Edgar Wallace
Vom Netzwerk:
Unkosten hatten, wie verräterisches Kontorpersonal heimlich erzählte, eine ganz gewaltige Steigerung des Umsatzes und höchst merkwürdigerweise auch eine riesige Erhöhung des Gewinnes zur Folge gehabt.
    Einige ließen durchblicken, daß diese Gewinne völlig fingiert seien. Das konnte aber nur Klatscherei sein, denn warum hätten Tack & Brighten, eine Gesellschaft, die sich um keine Aktionäre zu kümmern brauchte, Gewinne vorspiegeln sollen? Doch für den Augenblick war die Solidität der Firma Nebensache.
    Es war sieben Minuten vor neun, und Else Marion wartete auf der Station Westminster Bridge Road, die genau zwölf Minuten von dem Geschäftslokal der Firma Tack & Brighten in der Oxford Street entfernt war. Sie zuckte die Schultern. Es ist gehupft wie gesprungen, dachte sie. Aber sie ärgerte sich über ihre eigene Dummheit. Der nächste Fahrstuhl würde genauso voll sein - es blieb kein Zweifel daran, denn er war voll, sobald die Türen geöffnet wurden -, und sie hätte die drei kostbaren Minuten sparen können.
    Sie wurde an die Seite des Fahrstuhls gedrängt und war froh, daß zwischen ihr und den anderen Leuten ein großer Herr stand. Er war barhäuptig; sein graues Haar war sorgfältig gebürstet. Die hohe Stirn, die scharfgeschnittene Adlernase und das feste Kinn ließen auf gute Herkunft schließen. Er hatte tiefliegende blaue Augen, etwas schmale Lippen, und die Backenknochen zeichneten sich auf seinem sonnengebräunten Gesicht ab, ohne jedoch hervorzutreten. Alles dies sah sie mit einem schnellen Blick. Sie hätte gern gewußt, wer er war; die schwarze Perle in seiner Krawatte deutete auf Reichtum. Den Hut hielt er in beiden Händen vor der Brust. Sie schloß daraus, daß er Amerikaner sei, weil die Amerikaner im Fahrstuhl stets den Hut abnehmen, wenn sich Frauen darin befinden.
    Der Fahrstuhl sank nach unten. Ein schwaches »ting« zeigte ihr an, daß sie wieder einen Zug verpaßt hatte. Sie hätte vor Ärger weinen können. Das bedeutete wieder drei versäumte Minuten. Es war schlimm für sie - eine Waise, die ganz allein in der Welt stand und sich ihren Lebensunterhalt verdienen mußte. Kassiererinnen fanden nur schwer Stellung, und in Kurzschrift und Maschinenschreiben hatte sie nur einen geringen Grad von Fertigkeit erreicht, über den hinauszukommen ihr kaum möglich schien. Mit fünfundzwanzig Shilling in der Woche kann ein junges Mädchen nicht viel anfangen, das früher ebensoviel für Schuhe ausgegeben hatte. Das war damals, als ihre liebe, alte, sparsame Tante Martha noch lebte, die ihrer Adoptivtochter für ihr späteres Leben nichts anderes hinterließ als eine gute Erziehung in Cheltenham, eine Zehnpfundnote und eine große Brosche mit einer Locke von Tante Marthas Jugendliebe aus den sechziger Jahren.
    Zwischen dem Augenblick, wenn sich ein Fahrstuhl in Bewegung setzt, und dem, wenn die Türen wieder geöffnet werden, kann ein junges Mädchen, das auf sich selbst gestellt ist, mehr überlegen, als ein Mann in einem Jahr schreiben kann. Ehe der Fahrstuhl hielt, hatte Else Marion die Zukunft ins Auge gefaßt und war zu der Erkenntnis gekommen, daß sie ein bißchen trübe aussähe. Als sie sich umdrehte, um den Fahrstuhl zu verlassen, bemerkte sie, daß der große Herr vor ihr sie neugierig anstarrte. Es war nicht das dreiste Anstarren, gegen das sie längst unempfindlich geworden war, sondern der forschende Blick eines Menschen, der wirklich von Interesse zeugt. Sie vermutete die unvermeidliche Rußflocke auf der Nase und suchte nach ihrem Taschentuch.
    Der Fremde trat zur Seite, um sie zuerst hinausgehen zu lassen, und sie mußte für diese Höflichkeit mit einem leichten Kopfnicken danken.
    Ihr Gefühl sagte ihr, daß er dicht hinter ihr gehe. Aber bei diesem Hasten nach dem Bahnsteig gingen ja so viele dicht hinter einem her.
    Sie mußte etwas warten - zwei volle Minuten - und ging langsam zu dem leeren Teil des Bahnsteigs, um aus dem Gedränge herauszukommen. Gedränge war ihr jederzeit unangenehm, aber an diesem Morgen haßte sie es.
    »Verzeihung!«
    Sie kannte diese Art der Einführung, aber der Ton, in dem sie angeredet wurde, hatte so gar nichts von der Frechheit, an die sie bereits gewöhnt war.
    Als sie sich umdrehte, sah sie sich dem Fremden gegenüber, der sie freundlich lächelnd anschaute.
    »Sie werden mich gewiß für zudringlich halten«, sagte er, »aber ich kann es nicht ändern; ich mußte einfach herkommen und mit Ihnen sprechen … Sie haben Angst vor
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher