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Der Tag wird kommen

Der Tag wird kommen

Titel: Der Tag wird kommen
Autoren: Nina Vogt- stli
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nicht an das denken muss, was man nicht darf, und an die Orte, an denen man nicht ist. Und dieser Sonntag ist besonders gut, weil ich heute weggehe. Ich treffe mich zwar nur mit meinem Vater, aber er ist cool.
    Dad und ich. Wir haben nie zusammengewohnt. Aber wir mögen uns. Wir sehen uns nicht sehr ähnlich. Meine Mutter sagt, unsere Nasen sind gleich, aber ich finde das nicht. Dad ist groß – ich rechne damit, dass ich auch bald so groß bin – und er ist dunkelhaarig, was ich nie sein werde. Und er ist noch klüger als ich. Er redet mit mir wie mit einem Erwachsenen, das finde ich gut.
    Meistens treffen wir uns irgendwo in der Stadt. Als ich klein war, habe ich ab und zu am Wochenende bei ihm übernachtet. Aber er meinte, das wäre kein Ort für ein Kind.
    Dad hat keine anderen Kinder außer mir. Er hat meistens eine Freundin. Im Moment wohnt er mit einer Monica zusammen. Ich habe sie noch nicht kennengelernt. Aber sie ist wohl sowieso kein Langzeitprojekt.
    Ich fahre mit dem Bus in die Stadt und gehe in die Kneipe, die nur einen Steinwurf von Dads Wohnung entfernt liegt. Dad ist leicht zu entdecken, denn nur wenige Tische sind besetzt. Es ist ganz still. Die Leute lesen Zeitung, sind mit ihren Smartphones beschäftigt oder starren in die Luft. Wir treffen uns immer in solchen Lokalen. Ein Platz für Männer, wie Dad das nennt. Bloß keine Cafés mit Latte und Tee und stillenden Müttern.
    Wir unterhalten uns. Meistens redet Dad. Mir gefällt, dass wir nicht über die Schule sprechen, über meine schlechten Leistungen oder die Typen, die mir das Leben zur Hölle machen. Das haben wir nur ein einziges Mal getan. Ich glaube, Mum hatte ihn darum gebeten.
    Es war eine Tortur. Für uns beide.
    Es ist nicht so, dass er sich nicht dafür interessiert. Er versteht einfach, dass es nicht hilft, darüber zu reden. Es gibt nichts, was Dad an der Situation ändern könnte. Ich muss einfach durchhalten.
    Ihm ist es egal, ob ich schlechte Noten bekomme. Er weiß, dass ich was draufhabe. Mein Vater ist klüger als die meisten. Wenn er gewollt hätte, dann hätte er leicht seinen Doktor machen können. Aber er braucht keinen akademischen Titel, um sich zu beweisen, dass er intelligent ist.
    Wir reden über alle, die doof sind. Wir lachen über die Idioten im Fernsehen und in den Zeitungen. Über die vertrottelten Lehrer an meiner Schule. Über Männer mit bunt gefärbten Haarsträhnen und breiten Weiberschals. Über Frauen mit Schoßhündchen in Handtaschen und über meine Mutter, die so ängstlich und so einfach gestrickt ist.
    »Letzten Freitag haben wir einen ziemlich coolen Film gesehen.«
    »Du und June?«
    »Ja. Blade Runner . Der war echt gut. Fand sogar Mum.«
    »Das ist ja ein echter Klassiker.«
    »Glaubst du, dass wir irgendwann mal Menschenroboter bauen können?«
    »Wieso nicht? Aber wie es aussieht, wird die Zukunft ein bisschen anders werden, als wir sie uns vorstellen.«
    »Wie meinst du das?«
    Dad richtet sich auf und holt tief Luft.
    »Zukunftsvisionen handeln oft von fliegenden Autos, Urlaubsreisen ins Weltall und Unmengen von Bildschirmen. Dabei bauen wir inzwischen unglaublich kleine Computer, während die Computer in alten Science-Fiction-Filmen immer riesig sind.«
    »Wie Hal in 2001.«
    »Gutes Beispiel. Toller Film, nur was die Zukunft betrifft, lag er völlig daneben. Aber die Zukunft vorherzusagen, ist wohl auch nicht der Sinn solcher Filme. Science-Fiction kommentiert die Gegenwart.«
    Okay, war klar, dass das jetzt kommt. Dad muss einen immer belehren. Ich wollte ja nur wissen, ob er meint, dass es eines Tages Replikanten geben könnte.
    »Du glaubst also nicht an Roboter, die sich einbilden, Menschen zu sein?«, hake ich nach.
    »Nein. Aber wir haben ja bereits begonnen, künstliches Leben zu erschaffen. Oder echtes Leben, das künstlich gezeugt wird. Wer weiß, wo das noch hinführt.«
    »Was denkst du?«
    »Wahrscheinlich geradewegs in die Hölle! Die Welt ist voll von dummen Erfindungen. Wir enden sicher damit, dass wir uns selbst ausrotten. Zum Besten für den Planeten.«
    Dad sagt alles so, wie es ist. Er hält viel von Ehrlichkeit. Er redet nicht um den heißen Brei herum. Ich mag das.
    »Hat’s geschmeckt?«, fragt die schwedische Kellnerin, die gekommen ist, um die Teller mit dem halb aufgegessenen Labskaus abzuräumen.
    »Hervorragend«, antwortet Dad und lächelt so breit, dass all seine gelben Zähne sichtbar werden.
    »Darf ’s noch etwas sein?« Sie stellt die Teller aufs
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