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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht
Autoren: Amy McNamara
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John Wells’ Tochter
    Vorsicht! Wünsche können wahr werden.
    Ich hatte Dinge gehabt, die ich nicht haben wollte, und dann hatte ich sie verloren. Gerade hatte ich Schluss gemacht mit meinem Freund Patrick, im nächsten Moment schon stand ich allein da. Mit leeren Händen. Ein Abklatsch von dem, was ich mal war. Kaputt, doch auf den ersten Blick ist das nicht zu sehen.
    Ich heiße Mamie, mein Dad nennt mich Wren. Meine Eltern haben sich nie auf irgendwas einigen können, solange sie verheiratet waren, ich habe also beide Namen angenommen. Es gefällt mir, einen in Reserve zu haben. Besonders jetzt. Außerdem macht es meine Mutter wahnsinnig. Sie glaubt, mein Dad nennt mich Wren, um sie zu nerven. Sie sagt, sie hat mir den Namen Mamie gegeben, weil das »ersehntes Kind« bedeutet, und sie hat sich so bemühen müssen, mich zu kriegen. Als hätte sie mich mit schierer Willenskraft hervorgebracht. Hat sie wahrscheinlich auch. So ist sie nämlich. Doch ich hab nachgeschlagen und Mamie bedeutet auch »bitter«. Ist aber egal, Mamie ist irgendwo am Straßenrand gestorben, damals, in meinem alten Leben, und ich bin weggezogen. Jetzt bin ich rund um die Uhr Wren, in einem Haus am Rande der erforschten Welt, oben im Norden, an der Ostküste, bei meinem Vater, der seine Tage im Atelier verbringt. Perfekt für uns beide.
    Ich bin wegen des Piniendunkels hierhergekommen und weil das Meer so wild ist. Man braucht diese Geräusche der Stille, wenn im Kopf zu viel los ist. Das ist dann, als würden das Wasser und die Wälder das ganze Fühlen übernehmen, und ich hab Ruhe, bin still wie ein Grabstein, in einer Zwischenwelt. Leere, die ich ertragen kann. Morgens wache ich auf, steige in meine Sachen und sitze schon auf dem Rad, ehe mir überhaupt ein Gedanke kommt. Dies ist ein Ort, der mich verschlucken könnte, sollte ich das für nötig halten.
    Dabei bin ich also gerade, mit voll aufgedrehter Musik versuche ich, an gar nichts zu denken, knirsche in den Wäldern über brüchige Zweige und Stöcke eine Straße entlang, die noch nie jemand befahren hat, als ein Jeep um die Kurve schießt. Direkt auf mich zu. Bevor ich etwas denken kann, bin ich schon seitlich ausgeschert und habe einen dicken Baum gerammt. Das Vorderrad zerknautscht beim Aufprall. In einer Wolke aus Sand und Kiefernnadeln kommt der Jeep schließlich zum Stehen.
    Die Fahrertür fliegt auf und ein Typ steigt aus. Ein paar Jahre älter als ich.
    »Ist dir was passiert?«
    Sieht aus, als wäre er total durch den Wind, vielleicht sogar ein bisschen sauer … als ob ich diejenige wäre, die hier Mist gebaut hat.
    Ich setze mich auf, entwirre mich aus den Fahrradtrümmern und wische mir die klebrigen Nadeln von den Handflächen. Der Sturz hat mir die Luft abgeschnürt. Ein paar Sekunden brauche ich, bis ich wieder normal ein- und ausatmen kann. Das Vorderrad von meinem Fahrrad sieht aus, als hätte es ein wütender Riese gepackt und zerknickt. Eine Sekunde lang finde ich es irgendwie schön. Wie etwas, das meinem Dad gefallen könnte. Früher hätte ich mir gewünscht, meine Kamera dabeigehabt zu haben. Ich starre auf die verbogene Felge.
    »Ist dir was passiert? Kannst du sprechen?«
    Er guckt mich verstört an, offenbar glaubt er, ich hätte mich ernsthaft verletzt oder so.
    Atmen kann ich wieder, aber ich hab so lange nicht gesprochen, dass ich aus der Übung bin – mir fällt rein gar nichts ein, das ich sagen könnte.
    Er dreht sich weg, ich höre, wie der Motor ausgeht. Er schnappt sich das Handy.
    Ich finde meine Stimme wieder. »Warte«, sage ich. »Mir geht’s gut. Siehst du?« Ich stehe auf. »Hab nur ’nen Schreck gekriegt.«
    Er wirft das Handy wieder auf den Beifahrersitz und fährt sich mit zittriger Hand durchs Haar. Nach einem tiefen Atemzug sagt er: »Ich hab dich nicht gesehen. Auf dieser Straße ist nie jemand.«
    Ich überlege, ob ich ihn schon mal irgendwo gesehen habe. Die Stadt ist ziemlich klein, aber man kann wohl kaum behaupten, ich sei Teil der Szene. Und er sieht nicht nach Kleinstadt aus. Hemd in Anthrazit, dichtes dunkles Haar, das ihm in die Augen fällt, lange, gerade Nase. Irgendwo in mir, ganz weit weg in einer längst verlassenen Höhle, läutet etwas wie ein kleiner Gong.
    Er mustert mich immer noch irgendwie, etwas hektisch und von oben bis unten, als ob er vielleicht doch einen Schaden ausmachen könnte, als ob es ein Wunder wäre, dass ich nicht platt gewalzt daliege.
    »Gott, ich hätte dich töten können.« Sein Blick fällt
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