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Der Symmetrielehrer

Der Symmetrielehrer

Titel: Der Symmetrielehrer
Autoren: Andrew Bitow
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sondern nur das Sie interessiert, was Sie voraussichtlich brauchen können, habe auch ich das Recht, so zu reagieren, wie ich mich befähigt fühle. Solch vollkommene, gleichgewichtige Nichtübereinstimmung ist das Wesen von Frage und Antwort. Von diesem Bild will ich Ihnen erzählen, ich habe Anlass, es mir heute näherzurücken (wieder gab er sich den Anschein, als schielte er nicht zum Knopf), das heißt, ich selbst denke jetzt unablässig darüber nach, deshalb erzähle ich Ihnen davon mehr oder weniger mit Leichtigkeit. Ob Sie das brauchen können oder nicht, ist Ihre Sache. Zu mir gekommen sind Sie von allein und allein mit sich, so verwundert nicht, dass ich vor Ihnen sitze, jemand, der keinerlei Beziehung zu Ihnen hat …«
    »Es war also der Teufel?« fragte ich, über seine Belehrungen verärgert.
    »Wieso unbedingt gleich der mit Hörnern?« Vanoski runzelte die Stirn. »Augen hatte er tiefblaue, überhaupt keine Kohlen. Und die Glatze – wie mit Absicht, um das Fehlen der Hörner zu betonen. Dickleibig. Dickleibigkeit erregt keinen Verdacht, so das Volksempfinden. Oh, erst später lernte ich seine Gutherzigkeit in ihrem ganzen Umfang schätzen! Er strengte sich gar nicht an. Er täuschte mich gar nicht, Versuchung hat nicht das geringste mit Täuschung zu tun, versuchen lassen wir uns
ganz von selbst. Womöglich hatte er sich ja wirklich bloß so dazugesetzt, um zu verschnaufen, es war zu heiß.
    Engländer sind bekanntlich sehr schwatzhaft. Vielleicht haben wir deshalb den Mythos von unserer Schweigsamkeit und Reserviertheit in Umlauf gebracht, weil wir dieses Laster zu verheimlichen suchen. Ich jedenfalls verabsäumte nicht, den aufdringlichen Unbekannten in die Schranken zu weisen: Hatte noch nicht die Ehre etc.
    Irgendwie war er tatsächlich völlig fehl am Platz, für mich wie überhaupt, sogar rein äußerlich wirkte er so: fehl am Platz. Ich war jung wie Sie, war beherrscht von festen Vorstellungen über mich selbst, je vager, desto fester. Besonders wenn ich keinen Penny in der Tasche hatte. Über die Liebe, über den Ruhm … Ich hatte mich in dem Augenblick ziemlich weit forttragen lassen. Um so unangenehmer, wenn man sich bei dem Gedanken ertappt … In dem Augenblick hatte mir ein vage wunderbares Geschöpf vorgeschwebt, seltsamerweise in einem indischen Sari, an der Küste eines azurblauen Meeres drückte es eine Rose von mir an die Brust … Und so wies ich ihn mit der eisigen Würde des waschechten Briten in die Schranken.
    ›Wie das, sind Sie nicht Urbino?‹ sagte der Dicke beleidigt.
    Da erst wurde mir die ganze Albernheit meines soeben mit soviel Würde ausgesprochenen Satzes bewusst, nämlich, dass ich gar nicht Urbino sei. Er jedoch hatte schon seine unförmige, abgeschabte Aktenmappe aufgemacht und seine fleischige Diebespratze hineingesteckt. Mir kam es auf einmal vor, als würde er bei sich selbst, in der eigenen Aktenmappe, etwas klauen.
    ›Sind das etwa auch nicht Sie?‹ Und ohne hinzuschauen, rupfte er wie aus dem Gemüsebeet eine Photographie heraus und hielt sie mir triumphierend unter die Nase.
    Aber das war tatsächlich nicht ich! Das heißt, es konnte wer weiß wer sein. Das halbe Gesicht war von einem Apparat verdeckt, der teils an einen Photoapparat erinnerte, teils an eine phantastische Waffe mit Rohrmündung wie bei einem Gewehr, jedenfalls, dieser Typ auf der Photographie schien zu zie
len, und das halbe Gesicht, das nicht vom Apparat verdeckt war, war zusammengekniffen und verzerrt. Und angezogen war er irgendwie auch nicht wie unsereiner, schrullig eher. So sagte ich, voll des Triumphs über meine kürzliche Verwirrung, das sei nun gewiss nicht ich.
    ›Nicht Sie?‹ Der Dickwanst wunderte sich und blickte endlich auf das Photo. ›Oh, ich alter Esel!‹ Sein Kummer war dermaßen unverfälscht! ›Verzeihen Sie mir, du lieber …‹ Jetzt krümmte er sich regelrecht vor Verdruss, schien sich sogar ohrfeigen zu wollen mit dem Photo.
    ›Hören Sie mit Ihrer ungehörigen Clownerie auf!‹ sagte ich kühl.
    ›Sie können sich nicht vorstellen, was für ein unverzeihliches Versehen mir unterlaufen ist und wie ich dafür eins aufs Dach kriegen werde!‹ Er war untröstlich. ›Mein Lebtag ist mir sowas nicht passiert! Tatsächlich, das ist keines von Ihnen … Sondern das Photo eines Ihrer künftigen Bekannten … Aber ich habe auch eins von Ihnen … Ehrenwort … Ich schwöre … Da hat bestimmt der Böse mich verleitet.‹ Er holte erneut gegen sich
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