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Der Symmetrielehrer

Der Symmetrielehrer

Titel: Der Symmetrielehrer
Autoren: Andrew Bitow
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Bibliothek.« Er kam mir verlegen vor, als er mir, bei der Begegnung auf einem Empfang, einige Tage später versicherte, ein solches Buch gebe es nicht. Mir war das noch viel peinlicher. (Anm. d. Ü.)
    [ 2 ] Ob Tired-Boffin wohl von seinem Altersgenossen gelesen wurde, dem künftigen Verfasser von »The Real Life of Sebastian Knight«? (Anm. d. Ü.)
Um den Leser nicht noch durch das Aufschlüsseln von Kürzeln zu belasten: Anm. d. Ü. bezieht sich auf den Übersetzerkollegen Bitow. Da die Urheberin der deutschen Fassung ja eine Übersetzung übersetzt, zeichnet sie ihre Kommentare mit: Anm. d.  ÜÜ .

I.

    Ansicht des Himmels über Troja
    (Future in the Past)
     
    Wie ein zuckender Blitz
Wie ein verdunstender Tautropfen
Wie ein Gespenst –
Der Gedanke an einen selbst.
    Prinz Ikkyū
     
    I ch bin der einzige Mensch auf der Welt, der in das rätselhafte Ende von Urbino Vanoski ein wenig Licht bringen könnte. Doch leider sehe ich mich dazu außerstande. Eine Legende ist ja darum Legende, weil sie sich nicht erschüttern lässt. Und so ist er nun mal gestorben, vielmehr auferstanden im Bewusstsein von Lesern und Kritik: gänzlich unerkannt, ohne von seinem Ruhm etwas zu ahnen und arm wie eine Kirchenratte (zu solch einem Vergleich würde ich nicht greifen, wenn es nicht buchstäblich so wäre: der Legende nach diente er in den letzten Lebensjahren als Wächter in einer Kirche und verkaufte Kerzen). Sein Grab ist verschollen, und das ist schön, denn die Unbekanntheit zu Lebzeiten speist die Strahlen seines verspäteten Ruhms, und diese bringen seinen nichtexistenten Grabstein zum Glühen. Der größte Literaturpreis zu Lebzeiten war und blieb für ihn ein posthumer Preis, er wurde zum Fundament für den Fonds seines Namens, dank dessen Mitteln wir, die Erforscher seines Werks, uns alljährlich irgendwo an der Adria versammeln, wonach wir unsere Dispute in einem (später wiederum von uns gelesenen) Band herausbringen, ohne für potentielle Genies unter den Kirchenwächtern Mittel übrig zu lassen.
    Dass es um Vanoski, den unerkannten Autor der dreißiger Jahre, gegen Ende der sechziger zu einem Boom kam, ist voll
und ganz das Verdienst des unersetzlichen Fonds-Vorsitzenden V. van Book, und ich würde von den Kollegen mit Schimpf und Schande aus unseren fest geschlossenen Reihen gejagt, wollte ich den von ihnen errichteten Mythos ins Wanken bringen. Mir würde niemand glauben, ich würde überzeugend widerlegt, einer Fälschung geziehen werden … Und wo bliebe dann mein jährlicher Sommerurlaub?
    Dabei war Urbino Vanoski gar nicht Kirchenwächter – er war Aufzugführer. Und als er starb (vielleicht ist er auch noch gar nicht gestorben …), wusste er von seinem plötzlichen Ruhm, und von seinem Grand Prix wusste er auch. Ich war es nämlich, der ihn vor seinem Tod (vielleicht auch nicht vor seinem Tod …) ausfindig gemacht hatte, der ihn als letzter sah, der ihm all die freudigen Nachrichten überbrachte. Mir auch gewährte er sein letztes Interview. Das im Grunde kein Interview war, sondern eine Beichte. Ich weiß nicht, warum er gerade mich dafür auserwählte, vielleicht, weil ich ihm gleich auf den ersten Blick nicht sympathisch war. Nicht jedem Detail dieser Beichte sollte man Glauben schenken, ich habe Grund zu dem Verdacht, dass er nicht mehr recht bei Verstand war. So gab er auf die Frage, wie er zu der überaus hohen Auszeichnung stehe, zur Antwort, er habe eine höhere erwartet. Ich konnte die Frage nicht unterdrücken: »Welche denn?« – »Den Tod«, gab er gelassen zur Antwort. Besonders in Rage brachte ihn die schlichte Frage, an welchem Werk er gerade tätig sei. Er brauste auf: »Ein Werktätiger war ich nie, Gott sei Dank!« Ich korrigierte mich, so gut ich konnte: was für einen Plot er gerade ausmale. »Malen, das tun Maler! Wenn ich etwas male, dann Landschaften. Aber was fragen Sie, wo Sie nicht einmal gelesen haben, was längst geschrieben ist!« Ich fasste das so auf, dass er noch Unveröffentlichtes in petto habe. »Wohl kaum«, fuhr er mir über den Mund. »Im übrigen, nach jedem anständige Schriftsteller sollte etwas hinterbleiben, das einer posthumen Veröffentlichung würdig ist.« Ich wäre nicht ich, hätte ich da nicht nachgehakt. »Schon, habe ich, habe ich«, räumte er ein, widerwillig und bereitwillig. »Ich habe einen unvollendeten Roman, ›Das Leben ohne uns‹ heißt er – oder ›Le
bendig bestattet‹? Nicht einmal an den Titel erinnere ich mich … doch
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