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Der sueße Kuss der Luege

Der sueße Kuss der Luege

Titel: Der sueße Kuss der Luege
Autoren: Beatrix Gurian
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wollte er nicht mehr.
    Seine Demütigung in der Schule war da schon nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Seit damals war er der Alien in seiner Klasse, der Freak, dessen Eltern nie da waren, der Freak, der keine Schultüte hatte, der Freak, der zerrissene Unterwäsche trug, weil niemand Zeit hatte, ihm neue zu besorgen.
    Wütend hatte er dann nachts in die Schultüte reingepinkelt und mit Begeisterung gesehen, wie sich die Sachen darin langsam gelb verfärbten. Ein kleiner weißer Wuschelbär, ein Buch, ein Mäppchen. Nur um die coole Armbanduhr, die ganz unten lag, tat es ihm leid. Am nächsten Morgen hatte sein Vater das stinkende Ding entsorgt und nie einen Ton darüber verloren.
    Es war ihnen egal. Er war ihnen egal.
    Irgendwann wollte er wissen, wie egal er ihnen wirklich war, und fing an, aus dem Portemonnaie seiner Mutter Geld zu stehlen. Gleichgültig, wie viel er herausnahm, keiner sprach ihn darauf an. Vielleicht bemerkten sie es gar nicht.
    Einmal hatte er von dem geklauten Geld einen großen Strauß rosa Rosen mit Schleierkraut für Frau Braun gekauft, über den sie sich sehr gefreut hatte. Doch dann wollte sie wissen, woher er so viel Geld hatte. Und obwohl sie so tat, als würde sie ihm glauben, bemerkte er ihre Zweifel an seiner Erklärung, dass er sein Taschengeld so lange gespart hatte.
    Was fiel ihr ein? Warum freute sie sich nicht einfach? Er hatte es gerade noch geschafft, Frau Brauns Wohnung zu verlassen, ohne etwas kaputt zu machen, so wütend war er über ihre Fragen, die sich in seinem Bauch zusammenballten wie mächtige Kugelblitze. Am liebsten hätte er sie angeschrien oder geschlagen, um diese Wut aus seinem Körper herauszubringen, aber er wusste, wenn er das täte, wäre er seine einzige Verbündete los.
    Draußen dann, im strömenden Regen, explodierte etwas in ihm und gab erst Ruhe, als er anfing, Regenwürmer so lange zu zertreten, bis nur noch Matsch übrig war.
    Immer öfter spürte er diese namenlose Wut in sich, die rausmusste. Zuerst hatte er versucht, sich dadurch zu erleichtern, dass er seine Arme mit einem scharfen Küchenmesser anritzte, aber das tat ihm weh. Viel zu weh, und wenn er zornig war, wollte er nicht sich selbst, sondern den anderen wehtun, denen, die daran schuld waren, dass er nichts als ein Schatten war. Nach mehreren Wurm- und Schneckenmassakern hatte er dann eine Maus gefangen und erstochen, das war viel interessanter und spannender gewesen, nicht nur, weil ihr Sterben länger dauerte. Deshalb hatte er nach größeren Tieren Ausschau gehalten und beim nächsten großen Wutstau in seinem Bauch hatte er sich dann Bobo, den dicken whiskeyfarbenen Kater von Frau Braun, vorgenommen. Der Kater war selbst schuld! Erstens war Jan sicher, dass ihn Bobo nicht leiden konnte, zweitens verschwendete Frau Braun seiner Meinung nach viel zu viel Aufmerksamkeit auf Bobo und drittens war er leicht zu kriegen, weil er so verfressen war. Besonders gut gefallen hatte ihm die Idee, dazu den angeblichen Lieblingskopfkissenbezug seiner Schwester, den mit den gelben Sonnenblumen, zu verwenden, und es tat ihm nur leid, dass er niemandem davon erzählen konnte, wie schlau er es angestellt hatte, den Kater nachts im Pool zu ertränken.
    Am nächsten Morgen hatte er den Kater aus dem Bezug befreit, den Bezug aber weiter im Pool schwimmen lassen, was seine Mutter nur leicht verwundert hatte. Dann war er zu Frau Braun gegangen und brachte ihr unter Tränen die Leiche von Bobo wie eine Opfergabe. Es war ein kleiner Triumph für ihn, der Rivale war aus dem Weg geräumt und die Tränen kamen auch ganz leicht, weil sich in seinen Triumph Scham gemischt hatte, Reue und Scham, wegen all der freundlichen Worte und Leckereien, die Frau Braun immer für ihn gehabt hatte. Um sie zu trösten, bot er ihr an, ein Grab für die Katze in ihrem Garten auszuheben, was sie rührend fand und ihre gute Meinung von ihm verstärkte.
    Aber gestern Abend war ihm klar geworden, dass diese lächerlichen Wutausbrüche und Tierquälereien sein Leben niemals wirklich verändern würden. Er musste sich dem Hauptproblem stellen, um sein Schattendasein zu beenden. Und er war sicher, dass letztlich alle froh darüber wären. Wenn so eine nette alte Dame wie Frau Braun beim Canastaspielen zu ihren Freundinnen sagte: »Es wäre eine Erlösung für alle, wenn Stefanie endlich sterben könnte«, und alle drei der weißhaarigen elegant gekleideten Damen dazu nur stumm nickten, dann konnte der Gedanke doch so falsch nicht
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