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Der sueße Kuss der Luege

Der sueße Kuss der Luege

Titel: Der sueße Kuss der Luege
Autoren: Beatrix Gurian
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mir. Ich möchte mit dir zusammen sein. Ich rede gern mit dir, dabei langweilen mich sonst die meisten Frauen. Ich finde dich klug und trotzdem kommst du mir nicht so besserwisserisch vor. Du bist schön und weißt es gar nicht. Vielleicht liegt es daran, dass du Brüder hast, schätze mal, die härten ab.« Er grinst. »Ach ja und dann bist du auch noch komisch.« Er schnauft, als wäre er gerannt, dann schüttelt er den Kopf. »Oh Gott, ich klinge wie so ein verdammtes Weichei in einem Film, in dem alle Kerle Frauenversteher sind! Gut, dass mich meine Kollegen nicht hören können.«
    Gegen meinen Willen muss ich lachen. Diego hat so gar nichts von einem Weichei, selbst wenn er häkelnd am Spielplatz sitzen würde, käme er sehr männlich rüber.
    »Dann sehen wir uns also wieder?«, fragt er und wirkt erleichtert.
    »Ja. Samstag ist Flohmarkt, wie wäre das?«, schlage ich ein bisschen hinterhältig vor, denn ich weiß, dass meine Brüder Flohmärkte hassen und niemals mit ihren Freundinnen dorthin gehen würden. Ich bin immer noch überwältigt von all den Komplimenten, die er mir gerade gemacht hat, und kann kaum glauben, dass er das wirklich ernst meint.
    »Ich weiß noch nicht, ob ich Samstag freihabe, aber wenn ja, dann gerne. Falls ich arbeiten muss, dann könnten wir uns auch mal morgens zum Joggen treffen.«
    Ich verbiete es mir, darüber nachzudenken, ob das ein Hinweis auf meine Figur sein soll. »Ich hasse Joggen.«
    »Ich könnte dein Personal Trainer sein.«
    »Nur über meine Leiche.«
    Sein Handy klingelt und er geht sofort dran. Wer auch immer der Anrufer ist, er bekommt einen ganz anderen Ton zu hören als ich. Hart und sehr kurz angebunden. Ohne Verabschiedungsfloskeln beendet Diego das Gespräch und legt auf.
    »Es tut mir leid, Lu, aber ich muss sofort los. Ein Kollege ist ausgefallen, ich hab heute Bereitschaft. Ich dachte, das mit der Autobahn wäre für heute alles gewesen. Ich rufe dich an.« Er zögert einen Moment, doch dann küsst er mich doch auf den Mund, fester diesmal als vorhin. »Hör mal, ich habe das alles genau so gemeint, wie ich es dir gesagt habe. Ich bin Polizist, wir sind einzig und allein dem Gesetz und der Wahrheit verpflichtet. Du kannst mir also vertrauen!« Er küsst mich noch mal auf meine Stirn, streicht über mein Haar, dann spurtet er davon, und während ich dabei zusehe, wie sein knackiger Hintern aus meinem Blickfeld verschwindet, wird mir ganz flau im Bauch und ich merke, wie groß meine Angst ist, dass ich ihn nicht wiedersehen könnte. Jetzt ärgere ich mich noch mehr, dass er den Ballon hat wegfliegen lassen. Sonst hätte ich etwas, das mir zeigen würde, wie real das gerade alles war.
    »Du kannst mir vertrauen«, hat er damals gesagt, und ich habe ihm voll vertraut. Und wenn ich da schon gemerkt hätte, was wirklich abläuft, hätte ich dann die Katastrophe verhindern können? Hätte, hätte, hätte, sinnlos, darüber zu grübeln. Ich sollte mich lieber beeilen.

Er am Sonntag, dem 1. Mai 1994
    Noch bevor er die Augen aufschlug, wusste er es. Es war höchste Zeit. Heute musste er es tun, denn gleich würde seine Mutter wegfahren und sie ließ ihn nur selten mit seiner Schwester allein, diese Gelegenheit musste er einfach nutzen.
    Es wäre eine Erleichterung für alle, hatte die alte Frau Braun nebenan zu ihren Canasta-Freundinnen gesagt, als er sich wie so oft in ihrem Garten versteckt hatte. Es beruhigte ihn, sie zu beobachten, es gab ihm das Gefühl, dass er alles unter Kontrolle hatte. »Es wäre eine Erleichterung für die ganze Familie«, hatte Frau Braun mehrfach wiederholt und ihre blaue Strickjacke dabei enger um sich gezogen, »besonders für den armen Jungen, der ist in dieser Tragödie wohl eindeutig der Hauptleidtragende.« Und die Canasta-Freundinnen hatten stumm dazu genickt.
    Haupt-Leid–Tragender, das Wort hatte ihm gefallen und er hatte versucht, es aufzuschreiben, auch wenn er unsicher war, wie man das buchstabieren musste. Der Hauptleidtragende, das war er in der Tat. Und sein Hauptleiden bestand darin, dass er keins hatte. Er war nämlich gesund und genau deshalb ein Niemand für seine Eltern. Ein Schatten, der neben der Hauptakteurin einfach so nebenher mitzulaufen hatte. Eine Zeit lang hatte er sich Verletzungen zugefügt und Krankheiten simuliert, aber das hatte nur dazu geführt, dass man ihn noch mehr isoliert hatte, damit bloß keine Keime in die Nähe von Stefanie gelangten.
    Nur die weißhaarige Frau Braun von nebenan hatte
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