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Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm
Autoren: Krystyna Kuhn
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richtig.«
    Chris spürte, wie sich etwas veränderte, wie Forster sich veränderte, und war verwundert, wie viele unterschiedliche Persönlichkeiten in diesem Mann steckten. Er kannte ihn nur als den Langweiler. Unauffällig. Farblos. Die Studenten, die ihn nicht mochten, machten sich über seine Schwärmerei für Marcel Proust lustig. Die anderen ignorierten ihn.
    Doch die Art, wie Forster den Wachmann getötet hatte, zeigte einen anderen Forster. Emotionslos. Gleichgültig. Kalt. Aber vielleicht waren das nicht einmal unterschiedliche Facetten.
    Für einen Moment war Chris mit seinen Gedanken woanders gewesen. Er sah die Bewegung gerade noch rechtzeitig. »Bleiben Sie stehen!«, brüllte er.
    Chris machte einen Satz nach vorne, doch auch Julia hatte reagiert und einen Satz nach rechts gemacht, sodass der Professor stolperte und sich an den Gedenkstein klammern musste, um nicht zu stürzen.
    Im nächsten Moment bückte er sich und plötzlich hielt er den Spaten in der Hand, den Debbie hatte fallen lassen. Nur eine Handbreit schwebte er über Julias Kopf.
    »Bleiben Sie, wo Sie sind, Bishop«, hörte er Forster sagen.
    Eine Bewegung und die Kante des Eisens würde Julias Kopf treffen.
    Chris verfluchte sich.
    Verfluchte Julia.
    Die nicht aufhörte zu reden!
    »Und Sie gehörten nicht dazu, aber Ihr Bruder?«, fragte sie nach. So ruhig, als ob sie auf dem Sommerfest des Französischseminars um einen weiteren Drink bitten würde.
    »Solomonzirkel, so nannten sie sich. Die geistige Elite des Colleges.«
    Chris verengte die Augen. Forsters Arm begann, merklich zu zittern.
    Jetzt oder nie!
    Forster sah offenbar, was er vorhatte, denn in dem Moment, als er losstürzte, stieß er den Spaten in Richtung Julias Kopf. Chris blieb nicht einmal eine Sekunde. Er warf sich dazwischen und schwang gleichzeitig den Arm nach oben, um den Spaten seitlich wegzustoßen. Er hörte, wie die scharfe Kante seinen Handrücken traf. Es fühlte sich an, als würde die Hand genau zwischen Zeigefinger und Mittelfinger gespalten.
    Der Schmerz fuhr durch seinen Körper. Er stürzte und spürte etwas Hartes unter sich im Schnee. Die Waffe! Er hatte sie gefunden!
    Im nächsten Moment stand Chris wieder auf den Beinen, und bevor Forster sich aufrappeln konnte, saß er schon über ihm und hielt ihm den Lauf an die Stirn. Der Mann unter ihm stöhnte, sein linkes Bein zuckte, seine beiden Hände krallten sich in den Schnee und absurderweise musste Chris an seinen Vater denken, wie er auf dieser weißen Satinhülle gelegen hatte, mit der sein Sarg ausgeschlagen gewesen war.
    Was, wenn Forster jetzt starb? Vor seinen Augen?
    »Wachen Sie auf, Forster!«
    Keine Reaktion.
    Chris bückte sich, holte mit der linken Hand aus und fasste eine Handvoll Schnee, die er Forster ins Gesicht rieb. »Sie sollen aufwachen!«
    Forsters Augenlider flatterten und dann schlug er tatsächlich die Augen auf. Chris wusste nicht, ob er ihn erkannte, aber eines war ihm klar: Wenn er Fragen hatte, dann war jetzt der Zeitpunkt, sie zu stellen.
    »Was hatte mein Vater mit der Sache zu tun?«
    Der Professor schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht mehr...«
    »Doch, Sie können! Reden Sie mit mir!«
    Wieder griff Chris mit links in den Schnee und klatschte ihm eine Handvoll ins Gesicht.
    Forster hustete.
    »Na los!« Chris umklammerte die Waffe fester.
    »Sie haben die ganze Zeit... darüber geredet, auf den Ghost zu gehen, um... dieses Experiment zu machen.«
    »Experiment? Was hatte mein Vater damit zu tun?«
    »Er hatte die Idee!«
    »Die Idee?«
    Aus Forsters Kehle kam ein Stöhnen.
    »Chris!«, rief Julia. »Lass ihn! Es reicht!«
    Er konnte das Gesicht in der Dunkelheit kaum erkennen, aber der Professor hatte die Augen geschlossen und...
    »Nimm die Taschenlampe, Julia.«
    Sie reagierte nicht.
    »Die Taschenlampe! Er soll mich ansehen. Er soll mir in die Augen sehen!«
    Sie zögerte, doch dann tat sie, was er sagte. Sie hob die Lampe auf und leuchtete Forster direkt ins Gesicht.
    Forster versuchte, seinen Arm zu befreien, um sich vor dem grellen Licht zu schützen, aber Chris gab nicht nach. Seine rechte Hand schmerzte unerträglich, doch er bohrte die Waffe weiter in Forsters Schläfe.
    »Welche Idee?«
    »Fragen Sie ihn doch selbst.«
    »Er ist tot.«
    Forster war noch kräftig genug für ein boshaftes Lächeln. »Es stimmt nicht, wenn es heißt, die Besten sterben zu früh, was? Manche trifft es zum richtigen Zeitpunkt.«
    Es kostete Chris alle Selbstbeherrschung, nicht
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