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Der stille Sammler

Der stille Sammler

Titel: Der stille Sammler
Autoren: Becky Masterman
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bereits über dreißig Grad geklettert war, und stieg wieder in den Wagen.
    Das Fahrzeug hinter uns gehörte zur Spurensicherung. Im Wagen vor uns saß Floyd Lynch, der Tatverdächtige. Ich weiß, ich hätte es nicht tun sollen, doch bevor ich zu Coleman in den Geländewagen stieg, ging ich dorthin. Hinter dem Steuer saß ein US Marshal. Das Beifahrerfenster glitt nach unten, als ich näher kam, und eine Hand streckte sich mir entgegen.
    »Royal Hughes, Pflichtverteidiger«, sagte der Besitzer der Hand.
    »Dachte ich mir. Ich bin Brigid Quinn.«
    Hughes lächelte ein dem Anlass entsprechendes, zahnweißes Lächeln. »Ich weiß«, sagte er.
    Ein richtiges Schätzchen.
    Im Fond, hinter einer Sicherheitsscheibe, in Handschellen und leuchtend orangefarbener Gefängnismontur, saß Floyd Lynch. Schlanker, aber schlaffer Körper, lockige braune Haare, nach innen gebogener Nasenrücken und eine kleine Bolschewikenbrille. Ende dreißig, verlebt. Eher Buchhalter als Serienkiller, aber so ist das immer bei diesen Drecksäcken. Das heißt, bis auf die gefühllosen Reptilienaugen, deren Wirkung kein noch so jungenhafter Charme überspielen kann, wenn man weiß, wonach man suchen muss. Er sah mich an, während ich ihn durch die Scheibe musterte, als wäre er eine Schlange in einem Zoo, genauso neugierig auf mich wie ich auf ihn. Dann verzog er den Mund zu einer Grimasse und nickte mir flüchtig zu, bevor er den Kopf abwandte. Ich war versucht, gegen die Scheibe zu hämmern, doch ich spürte, wie die beiden Männer auf den Vordersitzen wegen meiner Nähe leicht nervös wurden, also hielt ich mich zurück.
    Floyd Lynch. Der Hurensohn hatte acht Frauen ermordet, einschließlich der Frau, deren Mumie in seinem Lastwagen gefunden worden war. Er hatte seine Opfer gefoltert und vergewaltigt, hatte ihnen in die Augen gestarrt und sie langsam erwürgt, während sie inständig gehofft hatten, vielleicht doch noch mit dem Leben davonzukommen. Jetzt würde er uns den Tatort zeigen, an dem er sein letztes Opfer getötet hatte. Und als Dank für diese großherzige Geste würde es keine gerechte Vergeltung geben für all das Leid, das er den Opfern und ihren Angehörigen zugefügt hatte. Er würde Jessica Robertson ein letztes Mal benutzen, diesmal als Ticket aus der Todeszelle. Dieser Mistkerl nahm Jessica gewissermaßen zwei Mal das Leben. Der Gedanke machte mich halb wahnsinnig.
    Ich wollte Lynch tot sehen, wollte ihn für jedes seiner Opfer verrecken sehen, langsam und qualvoll, so wie Jessica und die anderen Frauen gestorben waren. Doch unser kleiner Ausflug diente dazu, Lynch stattdessen eine lebenslange Freiheitsstrafe zu verschaffen.
    Man sah ihm an, dass er mit diesem Deal mehr als zufrieden war. Ich stellte mir vor, wie ich die Pistole an die Scheibe hielt und abdrückte und wie sein Gesicht in einer Explosion aus Blut und Knochen auseinanderflog. Was das anging, hatte ich eine lebhafte Fantasie. Der Gedanke linderte meine ohnmächtige Wut über die Ungerechtigkeit unseres Justizsystems, aber das gab sich rasch wieder.
    Max streckte den Kopf aus dem Seitenfenster und winkte. »Komm schon, Brigid, es wird heiß in der Kiste!«
    Ich ging zurück zum Geländewagen und stieg ein. Auf dem Rücksitz neben mir saß Sigmund. In Wirklichkeit hieß er Dr. David Weiss. Wir schauten uns an. Ich weiß nicht, was er sah, doch in den fünf Jahren, seit ich das Washingtoner Bureau verlassen hatte, war er alt geworden. Sein Bart war grau meliert, er hatte einen Bauch bekommen und brauchte mindestens eine Hemdengröße mehr. Sigmund stand für das Beste und Schlimmste während meiner Zeit beim FBI , und von allen Menschen, die ich kannte, kam er einem Freund am nächsten.
    In meinem Innern herrschte ein Wirrwarr aus Gefühlen bei dem Gedanken daran, was uns an diesem Tag bevorstand. Ich hätte Sigmund am liebsten umarmt und gedrückt, doch die Umstände und unsere Mitfahrer waren nicht dazu angetan; deshalb schnallte ich mich an und sagte nur leise: »Nett, dich mal wieder zu sehen, Sig.«
    Seine Augen funkelten wie aus einer Entfernung von einer Million Lichtjahren – auf jene Art, die in mir immer die Vorstellung erweckte, er wäre ein Außerirdischer, der aus irgendeinem Grund einen Narren an den Menschen gefressen hatte. Ich sah ihm an, dass er wusste, was in mir vorging; deshalb war er genauso wie ich darauf bedacht, keine Freundschaft oder gar Zuneigung zu zeigen. Ich hätte es nicht ertragen.
    »Hallo, Stinger«, sagte er nur, und schon der
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