Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der stille Sammler

Der stille Sammler

Titel: Der stille Sammler
Autoren: Becky Masterman
Vom Netzwerk:
Klang meines alten Spitznamens brachte mich dazu, den Blick von ihm zu nehmen. Ich beugte mich zu Max auf dem Fahrersitz vor.
    »Wo ist Three-Piece?«, fragte ich.
    »Keine Kameras«, antwortete Max.
    Der Chef des FBI -Büros in Tucson, Special Agent in Charge Roger Morrison, wurde von uns nur »Three-Piece« genannt, »Dreiteiler«, weil er bis weit in die Neunziger stets einen Anzug mit Weste getragen hatte. Offensichtlich war es nicht bis zu ihm vorgedrungen, dass Westen und Schulterpolster aus der Mode gekommen waren. Max’ Antwort bezog sich auf Morrisons Talent, Zelluloid förmlich riechen zu können und immer nur dann aufzutauchen, wenn Nachrichtenteams mit Kameras vor Ort waren.
    Ich saß hinter Special Agent Laura Coleman; deshalb konnte ich nicht sehen, wie sie auf unsere forschen Bemerkungen über ihren Chef reagierte.
    Max schob den Wählhebel vor, und unsere makabre kleine Karawane setzte sich in Richtung Catalina Mountains in Bewegung.

4.
    Von dort, wo wir wohnen, ist es eine Fahrt von anderthalb Stunden hinauf zum Mount Lemmon, wenn man die gut asphaltierte Straße auf der Südseite nimmt. Unser Fahrtziel an der alten, von Schlaglöchern übersäten Nebenstraße, die von Norden her kam, war nicht so schnell zu erreichen. Während der Fahrt über die Route 79 und den Samaniego Ridge schwieg Laura Coleman. Ich empfing keine übellaunigen Schwingungen – sie war bloß angespannt. Sigmund schwieg ebenfalls, doch es war ein behagliches Schweigen, während er gelassen aus dem Fenster schaute und die herbe Schönheit der kargen Hochebene in sich aufnahm.
    Auch ich blickte nach draußen und betrachtete die Wüstenpflanzen, die draußen vorüberzogen: Mesquitebäume und Feigenkakteen, blühende Kugelkakteen mit rosa leuchtenden, faustgroßen Blüten, weißköpfige Riesenkakteen und grünblättrige Jakobsstäbe mit roten Peitschenblüten. Noch vor einem Jahr hätte ich keinen dieser Pflanzennamen gewusst, doch Carlo hatte mir zum letzten Geburtstag einen Pflanzenführer von Arizona und ein Fernglas geschenkt.
    Ich versuchte, ein bisschen Smalltalk mit Max und Laura Coleman zu machen, war aber nicht sonderlich erfolgreich, also lenkte ich das Gespräch auf den Tatort, den wir uns gleich anschauen würden.
    »Hast du den Wagen, von dem Lynch redet, schon mal gesehen?«, wollte ich von Max wissen.
    Im Unterschied zu uns anderen ist Max ein Einheimischer. Er nickte. »Ja. Auf der High School war es eine Art Initiationsritus bei uns, nachts dort raufzusteigen«, berichtete er. »Niemand wusste, wann oder wie der Wagen dorthin gekommen war. Anscheinend ist er irgendwann mal über die Böschung gerollt und dreißig Meter tiefer im Arroyo gelandet, ohne sich dabei zu überschlagen. Der Fahrer wurde nie gefunden. Wir saßen um das Wrack herum, tranken Bier, rauchten Dope und erzählten uns Gespenstergeschichten über den Fahrer, der zurückkommen würde, um seinen Wagen zu holen.«
    »Hat nie jemand einen Blick hineingeworfen?«, fragte ich.
    »Doch, natürlich. Wir haben sogar drin gesessen. Aber das ist zwanzig Jahre her. Die Kids heute fahren nicht mehr da rauf. Die interessieren sich mehr für Computerspiele. Könnte mir gut vorstellen, dass seit zehn, fünfzehn Jahren keiner mehr einen Blick in das Wrack geworfen hat.«
    »Wer war der Fahrzeughalter?«
    »An den Namen kann ich mich nicht erinnern, aber ich weiß noch, dass er nicht aus Arizona kam. Und wie gesagt, er wurde nie gefunden, weder tot noch lebendig. Die Sache ist allen in der Gegend hier ein Rätsel.«
    Die Straße wurde holprig. Laura Coleman wollte irgendetwas über Floyd Lynch sagen, verstummte aber aus Angst, sich bei der Rüttelei auf die Zunge zu beißen. Was mich anging, wünschte ich mir, ich wäre noch mal zur Toilette gegangen, bevor ich das Haus verlassen hatte.
    Auf der Fahrt zum Pass hinauf schwiegen wir alle mehr oder weniger verbissen, während es draußen allmählich milder wurde, weil wir an Höhe gewannen. Bald lösten Kiefern die dürrefeste Vegetation im Tal ab.
    Nach ungefähr zwei Dritteln des Weges bis zum Gipfel deutete Laura Coleman nach vorn zum führenden Wagen, in dem Lynch die gefesselten Hände gehoben hatte und gestikulierte. »Er gibt uns Zeichen«, sagte sie. »Sieht aus, als wären wir am Ziel.«
    Wenig später hatten wir hintereinander am schmalen rechten Straßenrand gehalten.
    Die Techniker von der Spurensicherung machten sich als Erste an die Arbeit. Sie waren die personifizierte Effizienz. Sie nahmen kleine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher