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Der Stammgast

Der Stammgast

Titel: Der Stammgast
Autoren: Georges Simenon
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worden!«
    »Und in Galata?«
    »Ebenfalls zu …«
    Während dieser ganzen Zeit stand man auf der Straße, auf der sich Gestalten in einheimischer Kleidung vorbeidrängten.
    »Diskutieren wir noch lange?« fragte Nouchi ungeduldig.
    Sie machte eine weitere Beobachtung: Müfti Bey durchwühlte seine Taschen und gab dem Albaner Geld, doch es reichte anscheinend nicht, denn Jonsac mußte zuschießen.
    Die Luft war lau. Man verließ das Gassengewirr und nahm auf der Brücke ein Taxi, um nach Pera zu fahren.
    Es war die Zeit, um die in den Nachtlokalen die Tänzerinnen ihr Make-up auffrischen und die Musiker ihre Instrumente stimmen.
    In der Grande Rue von Pera spielte sich das Nachtleben aller Provinzstädte ab, nur etwas ungezwungener, die in Gruppen gehenden Jungen drehten sich nach den Mädchen um und umgekehrt. Am Ende der Straße angelangt, wechselte man den Gehsteig und ging denselben Weg zurück.
    Die Gruppe tat dasselbe. Müfti Bey kannte alle Welt und schüttelte im Vorbeigehen immer wieder Hände. Der Albaner war verschwunden, und Nouchi, die auf ihren hohen Absätzen nur mühsam vorankam, murmelte ungehalten:
    »Worauf warten wir eigentlich?«
    Sie war es leid, ständig dieselbe Strecke auf und ab zu gehen, zehnmal hin und her, und dabei immer wieder denselben Gesichtern zu begegnen.
    »Sie sind Haschisch holen gegangen.«
    Der Albaner war im Gassengewirr von Tophane verschwunden. Als er wiederkam, zeigte er unauffällig in der hohlen Hand einen kleinen braunen Klumpen.
    Nun setzte ein neues Palaver ein. Es ging darum, wohin man zum Rauchen gehen sollte. Jemand schlug ein kleines Einheimischen-Café vor, und man ging wieder eine Gasse hinunter, die so steil war, daß eigentlich eine Treppe angebracht gewesen wäre. In den düsteren Hauseingängen ahnte man Menschen, die ein verschwiegenes Leben führten.
    »Zu!« verkündete der Albaner, der auf die geschlossenen Läden wies.
    In der Grande Rue hatte Nouchi zwei Nachtlokale ausgemacht, das › Chat noir‹ und das › Tabarin‹ .Als sie am zweiten vorbeigingen, hatte gerade die Musik eingesetzt.
    Es war noch nicht die Zeit für das Nachtlokal. Man schlenderte in den holprig gepflasterten Gäßchen umher und gelangte schließlich in die Neustadt, wo man ins Tiefgeschoß eines modernen Wohnhauses hinunterstieg.
    Hier wohnte Selim Bey, der nicht bei seinen Freunden sein konnte, weil ihn das Rheuma plagte. Er stand in einer engen Küche und kochte Kaffee. Er war dick und nachlässig gekleidet, doch der Anblick einer Frau ließ ihn verschwinden und korrekt angezogen wiederkehren. Jonsac stellte ihn vor:
    »Selim Bey, Botschaftsrat, der französischste und geistreichste Türke, den es gibt.«
    Jonsac war entspannt in ihrer Gesellschaft, obwohl er seine Korrektheit und sein Monokel beibehielt. Nouchi nahm es ihm ein wenig übel, doch sie bemerkte, daß manchmal in einer Ecke leise verhandelt wurde.
    Diese Männer, die alle zwischen dreißig und fünfzig waren, benahmen sich untereinander wie Studenten. In Selim Beys Wohnung machte sich jeder an die Arbeit, und bald schon stand eine Vielzahl von meze auf dem Tisch: türkische Vorspeisen, getrockneter Fisch, Hechtkaviar, sonderbare kleine Häppchen, gesalzen oder scharf gewürzt, die man zum Raki knabberte.
    Uzun sprach Nouchi nicht ein einziges Mal an, doch seine Augen waren den ganzen Abend lang auf sie gerichtet, und sie lächelte. Sie lächelte auch, als Tevfik Bey, der Journalist, ihr einschenken wollte und vor lauter Eifer das Glas umstieß.
    Der Albaner stopfte die Wasserpfeife. Das Mädchen sollte ebenfalls mitrauchen, doch beim ersten Zug mußte sie so husten, daß sie das Bernstein-Mundstück ausspuckte. Uzun griff sofort danach.
    Es war nicht etwa eine Nacht der Ausschweifungen gewesen. Sie lagen einfach auf Diwanen herum oder saßen auf dem Boden, und bisweilen deklamierte jemand französische oder türkische Verse. Ein anderer antwortete mit Folgestrophen. Als der Bildhauer ein volkstümliches Klagelied anstimmte, stand Nouchi, die unbequem saß, auf und gab durch ihre Haltung zu verstehen, daß sie endlich gehen wollte.
    »Wir könnten tanzen gehen«, schlug sie vor.
    Niemand hatte etwas dagegen. Es kam nur etwas überraschend für die beiden, die hinter einem Vorhang Geldgeschäfte trieben, was Nouchi die Nase kraus und die Augen zusammenziehen ließ.
    Man ließ die Geschäfte Geschäfte sein, folgte Nouchi zur Grande Rue von Pera und betrat dort gemeinsam das › Tabarin‹ ,in dem außer den
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