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Der Stammgast

Der Stammgast

Titel: Der Stammgast
Autoren: Georges Simenon
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noch einmal und sah zur Decke hinauf.
    Man hörte oben schlurfende Schritte. Sacide erschien, ohne Make-up und halbnackt unter einem von Schminke starrenden Bademantel.
    »Zieht euch schleunigst an, und dann ab zum ›Bauernhof‹!«
    Sacide blieb gelassen, sie war solcherlei gewohnt. Lola stürzte zur Loge. Die Russin fragte:
    »Ich auch?«
    »Nein. Jemand muß hierblieben. Außerdem sind dort keine Lieder gefragt!«
    »Und ich?« fragte Nouchi, die Ungarin.
    Sie war die Jüngste. Sie war bestimmt noch keine achtzehn. Sie hatte ein unregelmäßiges Gesicht, ein Stupsnäschen und einen Blick, der einen durchbohren konnte wie mit tausend Nadelstichen.
    »Versuch’s!«
    Eine Viertelstunde lang hörte das › Chat noir‹ auf zu existieren. Die Frauen rannten die Treppe zum Hängeboden hinauf und drängelten sich vor dem einzigen Spiegel, um Schminke und Puder aufzutragen.
    »Sacide!« seufzte der Student, als sie zum Taxi lief.
    »Was ist?«
    »Versprichst du mir …?«
    Lachend drückte sie ihm einen Kuß auf die Wange und zwängte sich mit den anderen ins Auto. Sonja blieb allein zurück, doch ein Musiker war schon unterwegs, um zwei Frauen zu holen, die nicht zum Personal gehörten, weil sie nicht tanzten, aber gelegentlich »aushalfen«.
    Der Wirt kehrte lächelnd zu seinen Flaschen zurück. Er malte sich aus, wie zwei Leibwächter des Ghasi auf Motorrädern das Taxi durch die Stadt eskortierten.
    Der ›Bauernhof‹ war ein einfaches, eingeschossiges Haus am Rande der Stadt, inmitten von Plantagen gelegen. Mustafa Kemal hielt sich dort häufiger auf als in seinem Palast.
    Es wurde wohl im Kreise der Familie und der Minister wieder üppig getafelt, und einer hatte dann vorgeschlagen, die Tänzerinnen kommen zu lassen.
    Im › Chat noir‹ war der junge Mann noch nicht bedient worden, und er nutzte die Gelegenheit zu verschwinden, ohne das Bier abzuwarten und zu bezahlen.
     
    »Warum hast du mich nie eingeladen?«
    Es war am Tag danach. Nouchi trug ein neues Kleid aus schwarzer Seide. Es betonte ihre schmale Taille und brachte ihren Busen zur Geltung, der wesentlich entwickelter war als der übrige Körper und auf den sie sehr stolz war.
    Es war schon nach Mitternacht. In der Nachbarloge trank und lachte Sacide mit zwei durchreisenden Italienern. Sonja sang. Im Gastraum saßen Türken, die sich solche Vergnügungen nicht leisten konnten und deshalb Bier trinkend zusahen und zuhörten.
    »Wie kommt es, daß du Ungarisch sprichst?«
    »Ich war eben auch in Ungarn.«
    Nouchi sah ihr Gegenüber mit einer Mischung aus Neugierde und Mißtrauen an. Sie hatte ihn auch schon im › Chat noir‹ gesehen. Einmal war er sogar um vier Uhr morgens mit Sacide weggegangen.
    »Bist du ein waschechter Franzose?«
    »Ja!« entgegnete er lachend. »Du hingegen kannst noch so sehr Ungarin sein, ich würde trotzdem wetten, du bist gebürtige Wienerin.«
    »Wie hast du das erraten?«
    Der Kellner kam die Bestellung aufnehmen, und Nouchi wollte wie gewohnt sagen:
    »Champagner!«
    Doch der Franzose hatte schon bestimmt:
    »Zwei Cocktails.«
    »Lädst du mich nicht zum Abendessen ein?«
    Er schüttelte den Kopf, und der Kellner ging. Dann legte er seine Hand auf Nouchis schmales Knie:
    »Wie hat es dich hierher verschlagen?«
    »Ich bin hier, weil es mir hier gefällt!« gab sie beleidigt zur Antwort.
    »Ach was!«
    »Doch!«
    »Nein!«
    Sie stritten sich wie Kinder.
    »Wo hast du dich von den anderen abgesetzt?«
    »In Izmir! Wer hat dir das gesagt?«
    »Niemand hat mir etwas gesagt.«
    So schwer zu erraten war es nun auch wieder nicht. Junge Ungarinnen, die mehr oder weniger tanzen konnten, zogen öfter in ganzen Gruppen los, manchmal mit Müttern, und dann wurde durch die Nachtklubs Vorderasiens getingelt.
    Überall waren die Nachtklubs dieselben, sie hießen › Tabarin‹ oder › Chat noir‹ und hatten dieselben Logen mit Vorhängen, dieselben polyglotten Besitzer.
    Viel mußten sie nicht können: etwas wie eine Tanznummer, die möglichst viel Haut zeigte, bevor die eigentliche Arbeit begann, die im Animieren der Gäste zum Trinken bestand.
    »Warum bezahlst du mir kein Essen?«
    »Weil ich kein Geld habe.«
    Sie warf ihm einen ungläubigen Blick zu. Er war um die Vierzig und glich in nichts dem, was sie bisher kennengelernt hatte. Solche Männer gab es sonst nur im Film.
    Vielleicht war er wirklich Franzose. Er hatte blondes, an den Schläfen graumeliertes und ziemlich dünnes Haar, das die Kopfhaut durchschimmern ließ.
    Er war
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