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Der Stammgast

Der Stammgast

Titel: Der Stammgast
Autoren: Georges Simenon
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um.
    Leyla geht an Krücken, sie wird nie wieder anders gehen können. Eine Hüfte scheint doppelt so weit wie die andere herauszuspringen, und innerhalb weniger Monate ist ihr Gesicht dem ihrer Mutter so ähnlich geworden, daß man sie für ihre jüngere Schwester halten könnte.
    Sie hat ihre Eigenheiten. Sie liest alle französischen Zeitungen, alle neuen Bücher, deren sie habhaft werden kann, und wenn darin von der Türkei die Rede ist, schreibt sie lange Leserbriefe, um sich gegen vorschnelle Urteile von Reisenden zu verwahren.
    Sie hält sich wenig in Pera auf und zieht das Häuschen am Bosporus vor, wo sie den Schiffen zusehen kann, die emsig wie Straßenbahnen die Menschenmassen nach Therapia und zu den ›Süßen Wassern‹ bringen.
    Auch Jachten fahren vorbei. Die eleganteste ist die von Kataş Bey. An Bord sind immer dieselben Leute: Es ist der Kreis um Nouchi, die inzwischen auch ihre Gewohnheiten hat.
    Manche witzeln:
    »Die Jungfrau von Stambul!«
    Andere:
    »Die Frau mit den drei Ehemännern …«
    Sie könnten auch vier, fünf, sechs Ehemänner sagen, denn es sind ihrer mehrere, die jeden Tag um sie herumschwirren, sie duzen und auf Stirn oder Wangen küssen.
    Doch nicht einmal die Angehörigen der Clique sind sich ganz im klaren. An manchen Abenden ist Stolberg auf Müfti Bey oder Amar Paşa eifersüchtig. Amar fragt sich, ob sie nicht ihr Spiel mit ihm treibt. Selim Bey wiederum, der es genau zu wissen glaubt, behauptet den anderen zum Trost:
    »Sie gehört gar keinem!«
    Allerdings fügt er hinzu:
    »Jonsac weiß, was er tut! Er hat eine schöne Wohnung. Und er braucht keinen Finger zu rühren …«
    Allerdings muß er immer acht, zehn Tage warten, bis er es wieder wagen kann. Dann jammert er:
    »Nouchi …«
    »Schon wieder?«
    Und beschämt schleicht er zu ihrem Bett.
    »Nouchi! … Ich möchte … Ich weiß nicht …«
    Nouchis Körper bietet sich dar, steif wie ein Stock.
    Am nächsten Morgen geht das Leben weiter.
     
    Marsilly, im Sommer 1932
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