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Der Stammgast

Der Stammgast

Titel: Der Stammgast
Autoren: Georges Simenon
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der Revolution war seine Familie sehr reich, und er konnte in Genf studieren. Dann wurde er Vizedirektor einer türkischen Bank, doch diese hat vergangene Woche Konkurs gemacht. Das wollte er mir mitteilen, als er mich beiseite nahm.«
    »In Constanţa weigerte er sich eisern, mir einen Champagner zu offerieren!«
    Es war offenbar überall dasselbe, in Bukarest, Sofia, Izmir, Ankara, Stambul oder sonstwo. Hier wie dort glichen sich die Nachtlokale, die Tänzerinnen, sogar die Gäste.
    Bei den Gästen gab es allerdings zwei Sorten, und Nouchi sah auf den ersten Blick, wer zu welcher gehörte. Es gab solche, die wirklich Geld hatten und sich amüsieren wollten; sie holten sich zwei oder drei hübsche Mädchen an den Tisch und tafelten und tranken, ohne die Flaschen zu zählen.
    Und es gab solche wie diesen Uzun und Jonsacs gesamten Freundeskreis. Die kamen her, weil sie abends nichts zu tun hatten, setzten sich in eine Ecke, blieben so lange wie nur möglich und konsumierten die billigsten Getränke.
    Deshalb erklärte sie jetzt:
    »Sehr interessant sind deine Freunde nicht!«
    Und deshalb war Uzun auch rot geworden, denn seine jetzige Armut machte ihm zu schaffen und die Szene in Constanţa war für ihn unangenehm gewesen: Nouchi wollte unbedingt, daß er Champagner bestellte, er weigerte sich, doch sie ließ nicht locker, worauf er mit betretener Miene das Lokal verließ.
    »Von denen sind wohl alle blank?«
    »Die Türken haben eine schlimme Krise hinter sich«, gab Jonsac zu bedenken.
    Sie zuckte bloß die Schultern.
    »Die Rumänen und die Bulgaren doch auch, und wir erst … Was heißt das schon, eine Krise! …«
    Sie hatte für Armut und Arme nur Verachtung übrig, vielleicht weil sie sich an ihre Kindheit erinnert fühlte. War sie nicht selbst in Wien in eine regelrechte Hungersnot hineingeboren worden?
    »Über die Botschaft mußt du interessantere Leute kennenlernen«, befand sie mit ihrer ruhigen Stimme.
    Sie gingen weiter, und Nouchi ließ im Geiste die Nacht noch einmal Revue passieren.
    Bei Avrenos waren sie am Schluß des Essens zu siebt oder acht gewesen, die Männer hatten sich allmählich an Nouchis Gegenwart gewöhnt und waren in ihr gewohntes Verhalten zurückgefallen.
    Nur Uzun war abseits geblieben, doch er war offenbar immer so, er trug immer dasselbe Lächeln zur Schau, das ironisch sein wollte und doch nur resigniert war.
    Ihr gegenüber hatte Müfti Bey gesessen, der türkischste von allen; ohne Inbrunst hatte er eine Gebetskette aus großen rötlichen Bernsteinkörnern durch seine Finger gleiten lassen. Er war der Sohn einer berühmten Persönlichkeit der alten Türkei. Vor der Revolution hatte er mehrere Paläste am Bosporus und riesige Ländereien besessen.
    Jetzt lebte er in einem möblierten Zimmer und zehrte nach und nach auf, was von dem Vermögen übrig war.
    Ein Grandseigneur war er dennoch geblieben. Nouchi war aufgefallen, daß der magere Kerl mit dem Fuchsgesicht, der neben ihm saß, ihm die Wünsche von den Augen ablas.
    »Wer ist das?« hatte sie Jonsac gefragt.
    »Ein Albaner, ein ehemaliger Bandit, der während des Krieges mit einer Handvoll Männern ganze Regimenter in Schach gehalten hat. Jetzt lebt er bei Müfti Bey …«
    »Ist er sein Diener?«
    »Ja und nein. Er begleitet ihn ständig, flickt und wäscht, macht ihm das Bett, aber ein eigentlicher Diener ist er nicht.«
    Außerdem waren da noch Tevfik Bey, ein Journalist ohne Vergangenheit, und ein langhaariger junger Mann, der Nouchi eröffnete, er sei Bildhauer, und sie fragte, ob sie Haschisch rauche.
    Alle sprachen Französisch, nur ab und zu rutschten gleichsam aus Versehen ein paar türkische Wörter dazwischen, und das Mädchen bemerkte, daß Jonsac auch Türkisch sprach.
    Es war eine eigenartige Nacht für sie gewesen, eine umgekehrte Nacht sozusagen, denn sie hatte außerhalb des Nachtlokals jene Menschen erlebt, mit denen sie sonst innerhalb am Tisch gesessen hatte.
    »Was machen wir?« hatte Uzun gefragt, als die Gruppe am Fischmarkt angelangt war.
    Es war zehn Uhr. Alle sahen sich an, wie sie sich wohl jeden Abend ansahen, zögernd, obwohl sie genau wußten, daß sie das Übliche tun würden, weil sie sich nichts anderes vorstellen konnten.
    »Wir könnten rauchen gehen …« schlug der Bildhauer vor, dem man gleich gar nicht antwortete.
    Nouchi sah sie miteinander flüstern und verschiedene Orte erwähnen, wobei sich Müfti Beys Albaner als Ratgeber betätigte.
    »Vorgestern von der Polizei geschlossen
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