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Der Spion der Zeit

Der Spion der Zeit

Titel: Der Spion der Zeit
Autoren: Marcelo Figueras
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eine faszinierende Stadt, Van Upp erwiderte auf Nachfrage, er sei für Mord zuständig und nicht für Wirtschaftskriminalität. Darauf wurde es still. Van Upp suchte nach Worten, mit denen er seine Kollegen nicht verriet, und sagte, man sei beunruhigt wegen der Aktivitäten der Euro-Bombay in Trinidad. Chiang erwiderte souverän, die Gesellschaft sei unbegründete Anschuldigungen gewohnt. Leute, die durch die ganze Weltgeschichte reisen, exotische Leute, Konvois voller Waren …
    Aber, fuhr er fort, es sei schon etwas Wahres daran, dass die Euro-Bombay andere Interessen verfolge. Die Papiere, die es ihnen erlaubten, sich hier und dort aufzuhalten, seien sehr nützlich, um sich frei bewegen zu können, ohne Verdacht zu erregen. Schwierig, da zu verhindern, dass der eine oder andere Angestellte zu seinem persönlichen Vorteil Handel betrieb, die Aufmerksamkeit der Polizei auf die Firma lenkte und so das eigentliche Ziel gefährdete.
    Spätestens in diesem Moment begriff Van Upp, dass das Treffen einer geheimen Tagesordnung folgte. Er befürchtete schon, sein Vater sei einer dieser Angestellten, die Chiang beschuldigte. Urquiza bedeutete ihm kaum merklich, er solle weiter zuhören.
    Chiang sagte, die Gesellschaft sei eine Organisation mit einer jahrhundertealten Tradition. Ihre Männer seien mit Marco Polo, Vespucci, Verrazano und Magellan, mit Stanley und Peary über die Weltmeere gereist. Sie seien Kopisten in Iona, Kildare und Armagh gewesen, und sie hätten die Schriftrollen vom Toten Meer studiert. Sie wären der Katastrophe von Byzanz mit Originaltexten des heiligen Ireneus, des Valentinus und des heiligen Epiphanius entronnen, allesamt weise Gnostiker, und sie wären in das Warschauer Ghetto gegangen, um eine Kopie des Geheimen Buchs des Johannes zu retten.
    Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, als die Welt zunehmend von der Wirtschaft und ihren Belangen regiert wurde, war die Gesellschaft in Euro-Bombay, Import – Export, umbenannt worden. Sekten und Geheimorden hätte man mit wachsendem Misstrauen betrachtet, während kapitalistische Unternehmen wohlangesehen waren. Die Männer der Gesellschaft lebten über den ganzen Erdball verteilt, und sie müssten mobil sein. Das Import-Export-Geschäft sei da eine naheliegende und zudem rentable Möglichkeit. Chiang gab zu, in den Anfangsjahren habe die Euro-Bombay keinen Unterschied zwischen legaler und illegaler Ware gemacht, weil es ihr darum gegangen war, möglichst rasch möglichst großen Gewinn zu erwirtschaften. Und schon früher habe sie beispielsweise eine ebenso entscheidende wie unbemerkte Rolle beim ersten englisch-chinesischen Konflikt Mitte des neunzehnten Jahrhunderts innegehabt, indem sie sich auf die Seite des Opiums geschlagen habe.
    Ein lautes Zischen hinter ihm ließ Van Upp auffahren. Die junge Chinesin hatte Wasser auf die glühenden Steine im Wintergarten gegossen, und der Raum füllte sich mit dichtem weißem Dampf.
    »Die naheliegendste Frage«, sagte Chiang, »haben Sie nicht gestellt: Was ist das Endziel der Gesellschaft?«
    Van Upp ging nicht darauf ein und fragte Urquiza, ob er in die Sache verwickelt sei. Er wollte nicht noch mehr Dinge hören, die man seinem Vater anlasten könnte.
    Urquiza wischte sich mit einem Taschentuch über die Stirn (es war sehr feucht in dem Raum geworden) und bat ihn, er möge weiter zuhören.
    Unbehaglich rutschte Van Upp auf seinem Stuhl hin und her. Mit spöttischem Unterton fragte er Chiang, ob die Gesellschaft vielleicht die Weltherrschaft anstrebe.
    Chiangs Gelächter rief den Spieler zurück, der hinter dem Vorhang verschwunden war. Es handelte sich um einen etwa dreißigjährigen Mann, der das lockige schwarze Haar mit Pomade gebändigt und auffallend große Fingerknöchel hatte. Er blieb dort stehen und behielt den Tisch im Auge.
    »Sie sind auf dem Holzweg«, sagte Chiang. »Die Geschäfte der Euro-Bombay mögen dubios sein, aber das Anliegen der Gesellschaft ist philanthropisch.«
    Im Verlauf der Jahrhunderte habe die Gesellschaft eine unglaubliche Fülle an Wissen über die Natur und das Universum gesammelt. Heterodoxe Quellen wie der Gnostizismus und der Buddhismus hätten ihr anfänglich dazu gedient, die Welt als eine Falle zu sehen, eine trügerische Vorstellung, ein Spiegelkabinett, das Endlosigkeit vorgaukelte. Einige hätten es wie ein Labyrinth ohne Ein- und Ausgang beschrieben. Andere später als Möbiusband, ein in sich gedrehtes Band, das nur eine Seite hat, wie man es auch wendet.
    »
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