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Der Spion der Zeit

Der Spion der Zeit

Titel: Der Spion der Zeit
Autoren: Marcelo Figueras
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launischen Nächte von Santa Clara. Dünn war er, und seine Falten waren stärker ausgeprägt. Ansonsten war er immer noch der Mann mit den buschigen Augenbrauen, der allen Kindern im Waisenhaus Angst eingejagt hatte, mit Ausnahme von Van Upp.
    Van Upp wusste immer, dass seine unerklärliche Fähigkeit, Wissen in sich aufzusaugen, Urquiza zutiefst rührte und ihn sanftmütig und großzügig stimmte. Jahrelang hatte er sich, ohne zu murren und ohne ihm zu widersprechen, von ihm leiten lassen, weil er sich dafür erkenntlich zeigen wollte, dass Urquiza an ihn glaubte. Dieser Glaube rechtfertigte alles. Wenn jemand an einen glaubt, kann man den Himmel erobern.
    Dieses magische Band hatte sich aufgelöst, als Van Upp ihm gesagt hatte, er wolle Polizist werden. Urquiza hatte schon bei seinem Architekturstudium geschluckt, weil er fand, dass Van Upp damit unterfordert war. Zähneknirschend hatte er es akzeptiert und sich gesagt, vielleicht sei Van Upp dazu gemacht, Brücken zu bauen, neue Varianten von Babel zu entwerfen und die Schwerkraft herauszufordern. Aber Polizist? Urquiza war durch das ganze Haus gelaufen, hatte die Türen zugeschlagen und aus den Fenstern gebrüllt. Wie konnte er sein Talent nur derart vergeuden?
    Van Upp hatte erwidert, er wolle sich nicht zum Sklaven von Talenten machen lassen, die er nicht gewählt hatte, sondern die ihm mitgegeben wurden. Was war der Sinn darin, eine Begabung für etwas zu besitzen, das einem keine Freude bereitete? In dem Fall würde das Talent zu einem Fluch. Zudem, auch wenn seine Größe dem zu widersprechen schiene, habe er kein Interesse daran, herausragend zu sein. Er habe ein ehrliches Interesse an der Wahrheit, und der Polizeidienst sei für ihn eine einfache Möglichkeit, hinter etwas noch Größerem verschwinden zu können.
    Urquiza hatte angedeutet, die Entscheidung hänge womöglich damit zusammen, dass Van Upp seine wahren Eltern nicht kannte; er verschiebe den Wunsch, Aufschluss über seine Herkunft zu bekommen, auf Wahrheiten, nach denen auch andere suchten. Vielleicht war es aber auch eine Form, ihn zu ehren, indem er das wurde, was Urquiza aus gesundheitlichen Gründen verwehrt geblieben war. Van Upp hatte gesagt, für ihn gebe es keinen anderen Vater außer ihm, außerdem sei das unwichtig, denn das Herz entscheide, wen es liebe und wen nicht.
    Mehrere Jahre lang hatten sie nicht miteinander gesprochen. Van Upp stand bereits im Polizeidienst, als Urquiza bei ihm aufgetaucht war, um ihm zu sagen, dass er das Land verlasse. Er hatte das Interesse an der Schule verloren und seine Ersparnisse aufgebraucht. Das Angebot der Euro-Bombay kam wie gerufen. Alles, was er tun musste, war reisen und neue Geschäftsstellen eröffnen, charmant und zivilisiert auftreten und zwischen den Leuten vor Ort und den Ausländern vermitteln. Die Distanz würde ihm gut tun.
    Und jetzt, drei Jahre später, saß er dort am anderen Ende des Tischs und streckte eine zitternde Hand aus, die Van Upp gerührt umfasste. Er hätte ihn umarmt, wären da nicht so viele indiskrete Zeugen gewesen. Einer der Männer stand auf, um ein Glas zu holen, ein anderer verschwand hinter einem Vorhang.
    Der dritte war Asiat: ein Mann um die zwanzig, von elegantem Äußeren, mit Spitzbart und einem Anzug aus der Savile Row. Sein Name war David Chiang. Er rührte sich nicht vom Fleck, als gehe das Treffen auch ihn etwas an.
    XXV
    Van Upp setzte sich zu ihnen. Seine Gefühle waren gespalten. Er brannte darauf, Urquiza nach all diesen Jahren zu fragen, nach Bangalore, nach Delhi und Madras, nach den Kasten und dem Monsunregen. Er wollte ihm sagen, dass er ihn vermisst hatte, ihm berichten, dass er glücklich war mit seiner Wahl; er war überzeugt, jetzt würde er ihn verstehen. Aber seine natürliche Zurückhaltung und die Anwesenheit des Zeugen hemmten ihn.
    Er nahm einen Whisky. Urquiza ebenfalls. Chiang wollte nichts. Der Spieler, der sie bedient hatte, kehrte zu dem Schrank mit den Getränken zurück und ordnete die Flaschen.
    Chiang wurde ihm als Leiter der örtlichen Niederlassung der Euro-Bombay vorgestellt. Van Upp begriff, dass er der direkte Vorgesetzte seines Vaters war. Ihm blieb keine andere Wahl, als die Regeln des Treffens zu akzeptieren, um Urquiza nicht zu erzürnen; die persönlichen Bekenntnisse vertagte er auf später.
    Es gab ein kurzes Höflichkeitsgeplänkel. Urquiza erklärte, er sei nicht zu seinem Vergnügen da, sondern mit einem dienstlichen Auftrag, Chiang merkte an, Santa Clara sei
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