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Der Spion der Zeit

Der Spion der Zeit

Titel: Der Spion der Zeit
Autoren: Marcelo Figueras
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Coupé zurück, fuhren ein paar Kilometer, ließen es am Straßenrand stehen, gingen ins Dorf und nahmen den Zug. Niemand hat Sie erkannt: Ohne Uniform sehen Sie aus wie ein gewöhnlicher alter Mann. Eine Stunde später waren Sie wieder in Santa Clara. Man könnte fast sagen, wir kamen gleichzeitig bei Ihnen zu Hause an, mit einer Differenz von ein paar Minuten.«
    »Brillant, aber unlogisch«, sagte Moliner und führte seine Hand an die Lippen. »Ich weiß nicht, warum, aber ich habe das Gefühl, mit diesem Satz ist Ihr ganzes Leben zusammengefasst.«
    »Sie sind ein scharfsinniger Beobachter«, sagte Van Upp.
    »Sie haben nichts gegen mich in der Hand. Nicht einen einzigen Beweis.«
    »Das ist richtig.«
    »Und warum Prades? Was sollte mir sein Tod bringen?«
    »Geld wohl kaum. Zu der Kategorie Leute gehören Sie nicht. Ich glaube eher, es ging um Eitelkeit. Dass Carranza sich Prades für den Schluss aufheben wollte, muss Sie tödlich gekränkt haben. Das bedeutete, dass jemand mehr an Prades’ Version glaubte als an Ihre.«
    »Was für ein Schwachsinn«, donnerte Moliner los.
    Ununterbrochen drehte Van Upp den Nagel zwischen Daumen und Zeigefinger.
    »Und wenn ich behauptete, ich hätte es für Ihren Freund getan?«, fragte der Henker, immer noch aufgebracht. »Er tat mir leid! Er hatte sich eine Aufgabe auferlegt, die über seine Kräfte ging, und ich mag keine halben Sachen.«
    Es entstand ein längeres Schweigen, als hätte jemand den Bunker luftdicht abgeschlossen. An irgendeiner Stelle, wo es absolut dunkel war, hörte man Wasser tropfen.
    Van Upp machte seine Taschenlampe aus.
    XXII
    Moliner schob verzweifelt die Hand in die Hosentasche. Er suchte nach seiner Taschenlampe. Der Gedanke, dass Van Upp ihn mit diesen Nägeln in der Hand umkreiste, verursachte ihm Gänsehaut.
    »Carranzas Plan war die Gelegenheit für Sie«, hörte er Van Upp irgendwo hinter sich sagen.
    »Wo sind Sie?«, fragte der Henker zitternd. Seine Finger gehorchten ihm nicht mehr.
    »Sie ertragen es nicht, noch länger in diesem Land zu leben«, sagte Van Upp.
    Er hatte sich im Dunkeln bewegt, denn die Stimme kam jetzt woanders her. Oder hatte der Henker selbst sich bewegt, ohne es zu merken?
    »Sie ertragen es nicht, dass die Menschen Sie nicht als den Helden sehen, für den Sie sich halten. Haben Sie Ihre Aufgabe denn nicht erfüllt? Haben Sie denn nicht verhindert, dass das Land in die Hände eines Systems fällt, das nichts als Unheil gebracht hätte? Warum hasst man Sie dann? Warum beschimpft man Sie auf der Straße? Warum macht man es Ihnen so schwer, essen oder spazieren oder ins Kino zu gehen? Warum bedrängt man Sie und zwingt Sie, sich in Ihr Haus zurückzuziehen? Warum tun Ihre Freunde in der Öffentlichkeit so, als ob sie Sie nicht kennten? Warum wollen selbst Ihre Kinder nichts mit Ihnen zu tun haben?«
    Mit einem triumphierenden Lächeln knipste der Henker seine Taschenlampe an. Doch Van Upp war nicht da, wo er ihn vermutet hatte. Alles, was er sah, war eine graue Wand, ein niedriger Bogen, eine Pfütze.
    »Ganz einfach«, sagte Van Upp von einer anderen Stelle aus. »Sie hassen Sie, weil Sie sie an ihre Sünden erinnern. Sie erinnern sie daran, dass sie dank Ihrer Ämter sehr wohl essen oder spazieren oder ins Kino gehen können. Sie erinnern sie daran, dass unter jeder Straße, unter jedem Haus, unter jedem Stein eine Leiche liegen könnte. Sie haben die Drecksarbeit erledigt, General. Jetzt müssen sie sich wieder als ehrenwerte Menschen und Demokraten empfinden, und da sind Sie denen ein Dorn im Auge. Der lebende Beweis für ihr schlechtes Gewissen. Deshalb haben Ihre Freunde in der Regierung Ihnen auch nicht von der Flucht abgeraten, als Sie sie um Hilfe ersucht haben, obwohl Sie das Land eigentlich nicht verlassen dürften. Man hat Sie lediglich gebeten, erst dann zu gehen, wenn man einen Modus gefunden hätte, den politischen Schaden Ihres Verschwindens möglichst gering zu halten. Und da trat Carranza auf den Plan.«
    »Lassen Sie die Spielchen«, sagte Moliner kraftlos. Er leuchtete in alle Richtungen – leere Etagenbetten, Toiletten, noch mehr niedrige Bögen –, doch er konnte seinen Feind nirgends entdecken.
    Van Upps Hand legte sich auf seine Schulter.
    »Sie wollten Carranzas Plan zu Ende bringen«, führ Van Upp in demselben ungerührten Ton fort. »Sie würden Prades töten und es so aussehen lassen, als handle es sich um ein weiteres Verbrechen aus der Serie. Aber Sie haben zu dick aufgetragen, das hat
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