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Der Spion der Zeit

Der Spion der Zeit

Titel: Der Spion der Zeit
Autoren: Marcelo Figueras
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waren Van Upp noch Gedanken wegen des Treffpunkts durch den Kopf gegangen (warum ausgerechnet ein so ungemütlicher Ort wie Kai 17, mitten in der hektischen Betriebsamkeit des Hafens?) und Überlegungen, warum sein Vater so niedergeschlagen geklungen hatte. Er hatte es auf die Müdigkeit wegen der langen Reise geschoben.
    Die Adresse gehörte zu einem Lager der Euro-Bombay-Gesellschaft. Seit Urquiza sich aus dem Schuldienst zurückgezogen hatte, arbeitete er als Dolmetscher für das Unternehmen. Die Zeitungen hatten in den letzten Wochen mehrfach angedeutet, dass es in der lokalen Niederlassung der Euro-Bombay Probleme gäbe. Auf den Fluren des Polizeipräsidiums waren die Anschuldigungen eindeutiger und schwerwiegender. Die Gesellschaft wurde des Schmuggels beschuldigt, aber auch von Drogenhandel war die Rede. (Was gäbe es für eine bessere Tarnung als eine Importfirma, deren Schiffe in allen Häfen der Welt anlegen?) Man hegte den Verdacht, hinter dem Unternehmen stecke ein Verbrecherring. Kommissar X, der Leiter der Abteilung Sechs, ermittelte in einem Mord an einem Kurier, der anscheinend nicht die gesamte Ware abgeliefert hatte.
    Van Upp musste Urquiza über den Stand der Dinge in Kenntnis setzen. Es wäre besser, wenn er sich während seines Aufenthalts in Santa Clara nicht mit den bekannten Gesichtern der örtlichen Niederlassung sehen ließe.
    Bei dem Lager handelte es sich um ein altes, auf Holzpfähle gegründetes Gebäude mit Steinmauern. Es gab keine Fenster, sondern nur verrußte Luken im oberen Abschnitt.
    Van Upp klopfte an die Tür. In Meernähe war der Wind kräftiger. Die Feuchtigkeit beschleunigte seinen Atem. Er fasste an die Tasche, in der sich sein Asthmaspray befand, und war beruhigt.
    Eine junge Chinesin führte ihn in einen unpersönlichen Saal. Sie war klein und grazil und schwebte fast durch den Raum. (Jetzt erst kam ihm der Gedanke: Sie sah Mei ähnlich.) Mit grenzenloser Höflichkeit bat sie ihn um seinen Mantel. Van Upp lehnte dankend ab und wollte ihr erklären, was ihn an diesen Ort führte. Die junge Frau lächelte kokett und bedeutete ihm, ohne das Ende des Satzes abzuwarten, ihr zu folgen.
    Sie durchquerten ein Lager voller Kisten mit Stempeln ferner Länder und Schriftzügen in verschiedensten Sprachen. Ein Sammelsurium von Waren aus Orient und Okzident: kostbare kleine Päckchen und riesige Pakete, Haushaltsgeräte und Holzfiguren aus Afrika, ovale Spiegel und birmanische Drachen, Maschinen, Intarsienarbeiten und Bilder; es wirkte wie eine Auswahl von Kunstwerken, die auf das selektive Auge eines Kurators warteten. Außerdem gab es Schubkarren, Gepäckwagen, und auf dem Boden lagen Reste von Verpackungsmaterial, Wollfasern, Metallhaken und Sägespäne. Van Upp und seine Führerin gingen zwischen den Kisten entlang, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Das Lager war einsam und verlassen wie ein Museum. Von draußen hörte man hin und wieder die Sirene eines vorbeifahrenden Schiffes.
    Als die junge Frau zur Seite trat, um ihn vorbeizulassen, rutschte sie auf den Sägespänen aus. Van Upp fing sie mit sicherem Griff auf. Sie war federleicht, wie die Marionetten aus Bali, die er gerade in einer der Kisten gesehen hatte. Sie errötete und deutete auf die Tür in Form eines Schlüssellochs.
    Van Upp klopfte dreimal an und trat ein.
    Es handelte sich um einen riesigen Raum, der geschmackvoll in verschiedene Bereiche eingeteilt war, als hätte der Kurator, den er sich vorgestellt hatte, hier schon seines Amtes gewaltet. Ein französischer Schreibtisch stand darin, der durch eine spanische Wand von den Sesseln und dem flachen Tischchen abgetrennt war, die eine Art Wohnzimmer darstellten. Es gab einen durch warme Steine klimatisierten Wintergarten. An der Wand hingen ein Picasso und ein Rembrandt, beide unbekannt, vielleicht auch das Werk eines sorgfältigen Fälschers. Des Weiteren sah er neben dem Steinway-Flügel einen Perserteppich, einen zwanzigarmigen Kerzenleuchter und einen mit grünem Filz überzogenen Spieltisch, an dem vier gutgekleidete Männer Poker spielten. Einer von ihnen war Urquiza.
    Noch niemals hatte er Urquiza beim Glücksspiel gesehen. Er war ein unwirscher Zeitgenosse, der Vergnügungen nicht sonderlich schätzte. Doch da saß er, vor sich ein Two Pair und eine Reihe von Jetons, die von seinem Reichtum kündeten.
    Er hatte sich nicht sehr verändert, abgesehen von der gegerbten Haut und dem weißen Leinenanzug, der besser in die Tropenhitze passte als in die
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