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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen
Autoren: Petra Oelker
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leerer gewesen, aber die lustigen Einlagen gaben nur den bunten Rahmen für die echten Dramen und Komödien. Die Kiste, bis zum Rand mit Stücken in ordentlichen Versen gefüllt, war ihr größter Schatz. Und wenn auch an den Höfen des Adels immer noch die italienischen Operisten bevorzugt wurden, begannen viele Bürger in den Städten, das Theater, wie es die Ackermann’sche, die Koch’sche oder auch die Becker’sche Gesellschaft zeigte, zu schätzen. Jean sehnte sich zwar manchmal nach den guten alten Zeiten, in denen so lästige Dinge wie Proben und Auswendiglernen, vor allem das Auswendiglernen, nicht nötig gewesen waren, aber er war doch stolz, zu denen zu gehören, die aus der Bühne eine Stätte der Kunst machten. Natürlich musste man die Werke der großen Dichter wie Molière, Gellert oder Corneille ein wenig zurechtschneidern, weil sie oft gar zu gelehrt und lang waren, und mit einem lustigen Vorspiel anreichern. Aber er fand es doch sehr erhebend, dem Volk einen Spiegel vorzuhalten. Auch wenn das Volk es nicht immer verstand oder zu würdigen wusste. So war das Volk eben.
    Außer Helena, Jean, Rosina, Titus und Sebastian gehörten noch Rudolf und Gesine zu Jeans Gesellschaft. Ein Ehepaar, brav und unauffällig wie ein Armenschullehrer und seine fromme Frau. Auf der Bühne waren sie die Besten für die wackere Tante der liebreizenden Heroine, den treuen Diener des Helden. Hinter der Bühne erwies sich Gesine als geschickte Schneiderin, mit ein wenig Flitter und ein paar Stücken alten Samtes schuf sie die edelsten Roben. Rudolf machte aus der löcherigsten Scheune eine haltbare Theaterbude und war ein großer Zauberer, wenn es darum ging, mit Licht und Donner Illusionen zu erschaffen. Und mit seiner Flugwerkkonstruktion konnte er Engel und Teufel, Göttinnen und Helden in wildem Sturz über den Theaterhimmel sausen lassen. Vor lauter Blitz und Donner vergaßen die Zuschauer, dass es sich um Menschen aus Fleisch und Blut handelte.
    Dann waren da noch Fritz und Manon, die Kinder von Rudolf und Gesine. Und Muto, der Junge, von dem niemand wusste, woher er kam. Sie hatten ihn vor drei Jahren in einer dunklen Straße in Leipzig gefunden, mitten im Winter, halb erfroren und so zerschlagen, dass niemand glaubte, er würde wieder heil und ganz werden. Die alte Lies pflegte ihn mit ihren Kräutern und ihrer Heilkunst aber doch gesund, nur die Sprache fand er nicht wieder. Vielleicht hatte er auch nie gesprochen, das wussten sie nicht. Sie brachten ihn ins Waisenhaus, wie es ihre Pflicht war, doch als sie einige Tage später Leipzig verließen, entdeckten sie ihn unter der Plane des letzten Wagens. Sie wollten ihn zurückbringen, aber das Kind klammerte sich mit still schreienden, angstvollen Augen an Sebastian, und Jean entschied in seltener Entschlossenheit, dass ein Komödiantenwagen immer noch ein besseres Schicksal für ein Kind bedeute als ein Waisenhaus, und dass ein weiterer kleiner Esser sie auch nicht ärmer machen könne. So blieb Muto bei ihnen, immer an Sebastians Seite, als wäre der sein selbsterwählter Vater. Die grimmige alte Lies hatte sie im letzten Sommer verlassen, ein Verlust, den jeder auf seine eigene Art schmerzlich spürte.
    Als die Komödianten nun um den großen Tisch saßen und sich aus der Kirschweinkaraffe bedient hatten, erfuhr Struensee den Grund für Helenas Wut.
    Es war vier Wochen her, sie spielten gerade in Braunschweig, in dieser theaterliebenden Stadt, die das Komödienhaus keinen Abend leer stehen ließ, da bekam Jean einen Brief aus Hamburg. Er war auf gutem dicken Papier geschrieben und sah auch sonst aus, als komme er aus einem reichen Haus. Der Absender hatte mit ‹Lysander Julius Billkamp, Dichter› unterschrieben. Das hatte Helena gleich misstrauisch gemacht, denn so durfte sich schließlich nur ein von den Universitäten gekrönter berühmter Poet nennen, und dieser war völlig unbekannt.
    «Aber du wolltest ja nicht hören», schnaubte sie.
    «Wenn ich immer gleich auf dich hören würde, kämen wir nie weiter. Du warst sogar dagegen, dass wir Rosina …»
    «Das ist Unsinn, Jean», fiel ihm Rosina ins Wort. «Helena war nur am ersten Tag dagegen, mich bei euch aufzunehmen, und dazu hatte sie gute Gründe. Außerdem ist es fast sechs Jahre her. Nun erzähl Sebastians Freund endlich von unserem Pech. Vielleicht hat er eine Idee, die uns weiterhilft. Schließlich ist er Arzt, er wird sich auch mit kranken Seelen auskennen.»
    «Habt ihr ihm noch nicht davon
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