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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen
Autoren: Petra Oelker
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Kontor- und Wohnhäusern der reichen Kaufleute und Handwerksmeister, der Reeder und Schiffbauer gesäumt. Die Durchfahrten in die Höfe gaben den Blick frei in die Werkstätten und Lager. An der Wasserseite trotzten ein paar Speicher der Flut. Auf den Landnasen zwischen den von hölzernen Anlegerbrücken, die man hier ‹Vorsetzen› nannte, gesäumten Hafenbecken hatten die Sägereien und Werften ihren Platz.
    Auf der Elbstraße herrschte der übliche rege Alltagsbetrieb. Auch wenn in diesen Tagen kein neues Schiff mit Ware von Frankreich, Portugal, England oder den nördlichen und östlichen Ländern einlief, sondern nur ein paar Großsegler an den Ankern dümpelten und auf den Wind warteten, der sie elbabwärts zum Meer bringen sollte, blieb das Leben doch nicht stehen. Fuhrwerke drängten sich mit Handkarren, Boten eilten mit neuer Post zu den Kontoren, ein paar Mägde trugen schwere Körbe in ihre Küchen. Alles machte der goldbeschlagenen Kutsche Platz, die, unterwegs zu einem der reichen Häuser hinter den Gärten an der Palmaille, die Hälfte der Straße einnahm. Eine Hand in silberweißen Spitzenhandschuhen schob sich durch das Fenster und winkte Struensee einen müden Gruß zu, den er lächelnd mit einer kleinen Verneigung erwiderte.
    Es roch nach Holz, Teer, Firnis und brackigem Wasser, der faulige Geruch der Maische von den Brauereien mischte sich mit dem süßlichen von den Zuckersiedereien, und vor der weit geöffneten Tür von Melzers Kaffeehaus an der Ecke zum Brauerhof duftete es herb nach Kaffee und Tabakrauch. Der Lärm der Hämmer und Sägen von den Reeden und Sägereien am Ufer wurde nur von den streitenden Stimmen übertönt, die aus den geöffneten Fenstern im zweiten Stock über dem Kaffeehaus drangen.
    «Sie sind sich noch immer nicht einig», rief Rosina ärgerlich, raffte ihre Röcke und lief, immer zwei Stufen auf einmal und von Sebastian, Titus und den Jungen gefolgt, die steile Treppe hinauf. Struensee hatte sich zwar ein etwas ruhigeres Wiedersehen vorgestellt, aber für einen ordentlichen Streit war er immer zu haben.
    Helena, das kastanienrote Haar in zorniger Unordnung, stand, die Hände in die Hüften gestemmt, mitten im Zimmer und funkelte ihren Ehemann aus blitzendgrünen Augen an.
    «Du bist der Prinzipal», schrie sie, «wer sonst soll sich darum kümmern? Gib’s doch zu! Du bist nur zu feige, in das stinkfeine Bürgerhaus zu gehen und danach zu fragen. Was aus uns wird, ist dir völlig egal …»
    «Hör auf, Helena», rief Rosina, die Türklinke noch in der Hand, «halb Altona kann euch hören, und ich hoffe sehr, dass alle denken, ihr probt für ein neues Stück.»
    «Neues Stück! Du weißt genau, dass es wahrscheinlich gar nicht existiert. Und dass dieser Verrückte, der uns aus Braunschweig, und wir haben gute Geschäfte gemacht in Braunschweig, sehr gute sogar, dass dieser Verrückte inzwischen offenbar so verrückt geworden ist, dass sie ihn ins Irrenhaus gesperrt haben. Guten Tag, Doktor Struensee, wie reizend, dass Ihr uns besucht», fuhr sie mit ruhiger, äußerst sittsamer Stimme fort. Helena, erste Heroine, Königin und Göttin in Komödie und Tragödie auf der Bühne der Becker’schen Komödiantengesellschaft, war eine große Schauspielerin. Auch die raschesten Stimmungswechsel gelangen ihr perfekt.
    Struensee lachte verblüfft, und Helena lachte mit ihm. Alle lachten, auch wenn Jean, der immer noch wie ein geprügelter Hund auf der Bank am Fenster hockte, nicht besonders fröhlich, sondern vor allem erleichtert klang. Er liebte Helena, mal mehr, mal weniger, und er kannte ihre Ausbrüche gut. Zwar hatten sie erst im letzten Sommer geheiratet, doch waren sie schon seit vielen Jahren ein Paar. Er hätte es niemals zugegeben, aber er wusste genau, dass sein Theaterunternehmen ohne sie schon lange bankrott gewesen wäre.
    Die Becker’sche war eine von den kleineren Komödiantengesellschaften, die durch das Land zogen, und immer dort spielten, wo man es ihnen erlaubte. Zur Ackermann’schen, die nun in Hamburg als Erste ein eigenes Theater hatte, gehörten fast zwanzig Mitglieder, die ebenso berühmte Koch’sche war kaum kleiner. Aber auch Jeans Truppe galt schon lange mehr als die bunten Spaßmachergrüppchen, die auf den Jahrmärkten derbe Stegreifspiele ohne Sinn und Handlung aufführten. Dabei verstanden sie sich auch auf die alten Späße. Titus war ein wirklich begnadeter Hanswurst, ohne ihn wären die Bänke vor der Bretterbühne ganz gewiss sehr viel
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