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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen
Autoren: Petra Oelker
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verbindenden Wirkung der Künste überzeugt gewesen.
    Eine Ballerina, ein schlankes Mädchen in engem rotem Mieder über einem weißen, duftig flatternden Rock, die dicken blonden Locken zu kunstvollen Zöpfen aufgeflochten, sprang gerade in einem letzten großen Wirbel über einen feisten Mann in einer grasgrünen Weste und einer bunten weiten Hose, der gottserbärmlich jammernd im Staub lag. Dann verneigte sie sich graziös, half dem Dicken wieder auf die Beine, und ehe das Volk mit dem Klatschen und Johlen fertig war, sprangen ein Mann und ein Knabe in die Mitte.
    Der Mann, nur wenige Jahre jünger als Struensee, war groß und schlank und bewegte sich wie einer, der sich seines Körpers ganz sicher ist.
    «Allez!», rief er, und das Kind, das einige Schritte abseits gestanden hatte, hüpfte mit leichten Sprüngen auf ihn zu, wirbelte im Flickflack durch die Luft, fand noch im Flug die Hände des Mannes und stand fest auf dessen breiten Schultern. Beifall brandete auf. Mit einem gewagten Salto landete das Kind, fast so rotschöpfig wie der kleine Lorenz, wieder auf der Erde direkt vor der ersten Reihe der Zuschauer. Kreischend und lachend wich die Menge zurück, und schon ging es weiter. Bälle sausten durch die Luft, ein roter, ein grüner, ein gelber, ein schwarzer, flogen hoch hinauf und hin und her zwischen den Händen des Mannes und des Jungen. Aber der war nicht schnell genug, und als zwei Bälle auf den staubigen Boden rollten, sprang Struensee in den Kreis, nahm sie blitzschnell auf, und nun – die Altonaer konnten es nicht fassen – flogen die Bälle zwischen den breiten Händen des Akrobaten und den schmalen des Arztes hin und her, hin und her, bis der Akrobat sie in einem furiosen Finale ganz hoch hinauf warf und endlich blitzschnell einen nach dem anderen einfing.
    Der Hut, mit dem der Junge nach dem Spektakel herumging, wurde an diesem Tag besonders großzügig gefüllt.
    «Du hast es nicht verlernt, Struensee», sagte der Mann mit den Bällen immer noch atemlos, als die Menge sich langsam zerstreute.
    Struensee wischte sich mit dem Ärmel seines Hemdes lachend den Schweiß von der Stirn und boxte den Akrobaten freundschaftlich gegen die Schulter.
    «Mir war immer klar, dass ich diese Kunst einmal brauchen würde. Ich hatte zwar mehr an die Zeit gedacht, nachdem sie mich als Arzt davongejagt hätten, aber was soll’s? Wenn ich meine Patienten so zum Lachen bringe, ist das doch noch besser. Wahrscheinlich habe ich mich gerade um ein paar fette Honorare gebracht. Aber du bist gut geworden, Rothländer. Viel besser als ich. In Halle hast du ständig alles fallen lassen.»
    «Das ist ein paar Jahre her. Inzwischen hatte ich einen guten Lehrer. Titus ist außerdem viel geduldiger als du.»
    Der dicke Mann mit dem strohgelben Haar, der gerade noch als verlachter Galan jammernd im Schmutz gelegen hatte, klopfte sich grinsend auf die Brust. «Den besten. Und irgendwas musste Sebastian ja bei uns lernen. Die Verse wollen ihm nie recht innig von den Lippen. Gibt’s hier nichts zu trinken, Doktor? Wenn ich nicht bald den Altonaer Staub aus dem Hals bekomme, verdurste ich. Wo ist Rosina?»
    Rosina, die Ballerina, hatte sich einen schicklicheren Rock aus kornblumenblauem Tuch über ihr Tanzkleid gezogen. Nun wickelte sie die silberne Flöte, der das Kind unter dem Rathausbalkon so schräge Töne entlockt hatte, in ein weiches Tuch und legte sie behutsam in einen hölzernen Kasten.
    «Wir kommen schon», rief sie, «die Kinder müssen auch etwas trinken. Fritz platzt vom Flöteblasen gleich der Kopf. Geht es Ihnen gut, Monsieur Struensee?»
    Aber sie sah ihn nicht an und erwartete auch keine Antwort, sondern strubbelte dem Jungen liebevoll durch die weißblonden Kringellocken. «Mach nicht so ein Gesicht, Fritz. Das war zwar noch nicht perfekt, aber schon viel besser als das letzte Mal. Wir werden weiter üben, und jeden Tag klingt es ein bisschen schöner.»
    Am Abend wurde in allen Schenken Altonas darüber gesprochen, dass der Physikus jongliere wie ein Fahrender, und dass er zudem mit einigen von denen, die seit einer Woche über Melzers Kaffeehaus neben der Theaterscheune an der Elbstraße wohnten, im Alten Ratskeller an der Kirchenstraße eingekehrt sei. Eigentlich habe der Wirt die Komödianten nicht hereinlassen wollen, aber Struensee habe ihn nur lachend beiseitegeschoben und gleich «für mich und meine ehrenwerten Gäste» den besten Tisch besetzt. Dem Wirt sei nichts anderes übriggeblieben, als
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