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Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Titel: Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Unsinn ist. Was immer das für ein Tier ist, es ist nicht Gabe, so verrückt ist sie nicht. Gabe ist hinter dem Meer zu ihrer Rechten, am anderen Ende des großen Teichs in New York. Und doch liegt etwas in diesem Blick, in dieser Geste, mit der es sich das Gesicht putzt, das ihre Frage fast schon plausibel macht.
    Noch einmal sagt sie, wenn auch im Flüsterton: »Gabe?«
    Mit einer peitschenden Bewegung fährt das Tier herum und taucht ab in die Tiefe des Sees.
    Und Aoife rennt. Sie rennt, ohne nachzudenken, davon. Sie rennt barfuß die Düne hoch und auf der Grasseite wieder hinunter, setzt über die Mauer und rennt an zwei schwarzen Silhouetten vorbei, die ebenfalls auf dem Weg gehen. »Aoife!«, ruft ihr Bruder. »Bleib doch stehen!« Aber das tut sie nicht. Und als sie auf die andere Seite der Insel gelangt, ist sie nicht einmal überrascht, dass sich die Wasser geteilt haben und ein schmaler, glitzernden Sandstreifen, den die Wellen nur unwillig freigeben, zum Festland führt.
    Da ist der Damm, hier muss sie entlang. Noch reicht ihr das Wasser bis an die Knöchel, aber sie reißt die Beine hoch, dass das Wasser nur so spritzt. Sie rennt bis nach Claddaghduff. Und als sie in Claddaghduff ist, sieht sie auch die Telefonzelle, erleuchtet wie eine Landebahn.
    Sie wählt die Nummer ihrer Wohnung. Sie glaubt zwar nicht, dass er da ist, aber sie will den Freiton hören, will wissen, dass jetzt, in diesem Augenblick, der Wandapparat neben dem Bett klingelt. In New York ist es sieben Uhr abends, Gabe ist garantiert noch bei der Arbeit, wo es heißt, Berge von Gemüse schälen, Teller stapeln und putzen, putzen, putzen. Doch erstaunlicherweise hört sie, wie abgenommen wird und jemand Luft holt. Sie hört sogar, wie sich seine Lippen öffnen.
    »Gabe?«, fragt sie.
    »Ja.«
    »Ich bin’s.«
    »Aoife«, sagt er, ihren Namen in die Länge ziehend. »Wie geht es dir?« Ist es nur Wunschdenken oder klingt er heute schon weniger schroff als beim letzten Mal?
    »Ich bin in Irland.«
    »Irland?«
    »Ja. Wir sind mit der ganzen Familie hier, sogar meine Nichte und mein Neffe sind dabei.«
    »Und gibt es etwas Neues von deinem Vater?«
    »Ja, wir haben ihn gefunden. Oder wissen zumindest, wo er ist. Getroffen haben wir ihn noch nicht.«
    »Ist er auch in Irland?«
    »Das ist eine lange Geschichte, ich erzähl’s dir später. Aber warum bist du nicht bei der Arbeit?« Schweigen. Sie hört ihn seufzen. »Hey, alles in Ordnung? Was ist passiert?«
    »Nichts«, sagt er.
    Sie fasst den Hörer fester. »Jetzt red schon.«
    »Da war jemand, der nach mir gesucht hat.«
    »Im Restaurant?«
    »Ja.«
    »Scheiße.«
    »Wahrscheinlich nur falscher Alarm, aber Arnault meinte, ich soll mich ein paar Tage lang nicht sehen lassen.«
    »Ach, das tut mir so leid für dich, Gabe.«
    »Schon gut. Es bedeutet ja nur, dass ich mir einen neuen Job suchen muss. Schade, ich mochte Arnault irgendwie.«
    »Du findest schon etwas anderes.«
    »Sicher.«
    Wieder kommt es zu einer Pause, und es hört sich an, als würde der Hörer bewegt. Vielleicht setzt sich Gabe aufs Bett.
    »Außerdem habe ich auch so genug Arbeit«, sagt er nach einem Moment.
    »Ach ja?«
    »Ja, ich habe deinen Papierkram in Ordnung gebracht.«
    Sie ist elektrisiert. »Wirklich?«
    »Ja. Wenn ich schon den ganzen Tag hier rumsitze. Und es lenkt so schön ab.«
    »Das heißt, du hast alles erledigt, den ganzen Haufen?«
    »Ich habe sämtliche Verträge in einen großen Umschlag gesteckt und sämtliche Schecks in einen anderen. Du kannst sie einreichen, sobald du wieder da bist. Oder …« Sie hört ihm an, dass er auch die Möglichkeit in Betracht zieht, dass sie nicht zurückkommt. »Aber das kann ich auch für dich tun, wenn du mir Evelyns Bank nennst. Oder den Namen ihres Steuerberaters oder …«
    »Gabe, ich danke dir«, bricht es aus ihr hervor. »Danke, du hast mich gerettet, echt. Ich weiß gar nicht, wie ich …«
    Er unterbricht sie. »Schon gut, ich konnte den Kram ja nicht so liegen lassen. Und wie gesagt, ich habe zurzeit eh nichts Besseres zu tun.«
    Erleichtert legt Aoife die Hände an die Scheibe der Telefonzelle und lehnt sich mit dem Kopf dagegen. Es ist alles erledigt, sie kann es immer noch nicht glauben. Das Problem, das ihr seit einem Jahr auf der Seele liegt, ist aus der Welt geschafft, praktisch im Handumdrehen.
    »Aoife«, sagt er unvermittelt. »Ich weiß, es gehört jetzt nicht hierhin, aber ich verspreche, dass ich dir nicht mehr mit der Wohnung und so auf die
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