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Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Titel: Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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doch dahinter, oder? Er ist Anwalt, nicht wahr? Gut, das ist schon mal etwas: fester Job, gutes Einkommen. Trotzdem hielte ich es für das Beste, wenn du erst mal wieder nach London kommst. New York, das geht gar nicht, so weit weg von uns allen. Du kannst eine Weile in der Gillerton Road wohnen. Krieg doch das Baby da, dann sehen wir weiter …«
    »Sag mal, hast du sie noch alle?«, zischt Aoife, als sie die Haustür aufmacht. »Hier gehe ich ein. Hier krepiere ich.«
    »Sei nicht albern.«
    »Nee, lieber bringe ich das Kind in einem Straßengraben zur Welt.«
    Monica kichert, als sie in dem engen Flur Gummistiefel und Pullover ausziehen.
    »Von mir aus auch in einem Hühnerstall oder in einer Katzenbox, nur nicht hier.«
    Monica zerrt an dem widerspenstigen Gummistiefel an ihrem linken Fuß. »Ich krieg den nicht runter«, flüstert sie. Kein Wunder, ihr linker Fuß ist größer als der rechte.
    »Infrage käme auch«, sagt Aoife, »Eisenbahnabteil, Geräteschuppen, Kohlenkeller. Gib her.« Sie zieht an dem Stiefel. »Komm schon, du Scheißding.« Erst bei vollem Körpereinsatz trennt sich, mit einem saugenden Geräusch, der Stiefel vom Fuß, wodurch Aoife mit Schwung gegen die Wandlaterne knallt. »Verdammte Kacke«, flucht sie und reibt sich den Kopf.
    »Wollt ihr wohl leise sein!«, donnert von oben die Stimme ihrer Mutter durch die Dunkelheit. »Einige von uns wollen schlafen.«
    Monica und Aoife tasten sich weiter bis in das gemein same Schlafzimmer. Aoife wirft sich sogleich auf ihre Seite des Betts.
    »Glaubst du, man kann vor Müdigkeit sterben?«, fragt sie, ehe ihr die Augen zufallen.
    »Ich weiß nicht«, sagt Monica und schiebt sich zwischen die Laken. »Auf jeden Fall hast du es ehrlich versucht.«
    Am Morgen backen Gretta und Monica Brot. Sie frühstücken im Vorgarten. Die Butter haben sie an der letzten Tankstelle gekauft. Dann stellen sie die Küchenstühle ins Freie und breiten auf dem Rasen eine Decke für die Kinder aus. Die wollen aber nicht nur brav auf der Decke sitzen. Hughie balanciert wie ein Vogel auf der Mauer, und Vita rollt sich in die Decke ein wie die Katze in dem Bilderbuch, denkt Gretta.
    »Ist das nicht viel zu warm?«, fragt Gretta.
    Mit roten Bäckchen blinzelt Vita sie an und sagt: »Nö.«
    Gretta zuckt mit den Schultern und trinkt den zweiten Tee des Tages. Sie mag ihren Tee heiß und richtig schwarz, ohne das kleinste Tröpfchen Milch. Das war schon immer so.
    Die Sonne brennt auf sie nieder. Wann kommt endlich der Wetterumschwung? Es kann doch nicht ewig so weitergehen.
    Michael Francis und Claire sitzen zusammen im Gras, er hat seinen Arm um ihre Schulter gelegt. Hughie blickt hinüber zum Festland und will wissen, wo all die Leute sind. Warum ist Irland so leer? Und Michael Francis erzählt ihm von der Großen Hungersnot, von der Kartoffelfäule und den Abertausenden auf den Auswandererschiffen. Sie alle hätten dieses Land verlassen und wären nie zurückgekehrt. Hughie hört aufmerksam zu, ein Stück Brot in jeder Hand. Vita kräht endlos das Wort »Diaspora« und wälzt sich in ihrer Decke.
    Gegen zehn Uhr quält sich auch Aoife aus dem Bett und nimmt erschlagen auf der Türschwelle Platz. Stöhnend setzt sie sich die Sonnenbrille auf und steckt sich erst einmal eine Zigarette an.
    »Wie viel Uhr ist es?«, fragt sie heiser und sucht in ihren Taschen nach dem Feuerzeug.
    Wie der Blitz ist Monica da und reißt ihr die Zigarette aus dem Mund. »Das lässt du schön bleiben«, sagt sie.
    Aoife sieht sie böse an, doch Monica geht sogar noch weiter. Sie nimmt ihr gleich die ganze Packung ab, Aoife stöhnt erneut und bettet ihr Gesicht auf die Arme.
    »Was hat sie denn?«, fragt Michael Francis.
    »Ist doch egal«, wiegelt Claire ab.
    »Willst du ein Stück Brot?«, fragt Gretta ihre Jüngste.
    »Nein.« Aoife hebt kurz den Kopf und scheint zu überlegen. »Oder doch, gib mir eins.«
    »Braves Mädchen«, sagt Gretta und freut sich, dass sie gebraucht wird. Sie mag das Herumsitzen sowieso nicht, ganz gleich, wie das Leben so spielt. Der Mensch muss ein Ziel haben, auch wenn es noch so klein ist.
    Sie ist in der Küche und schält Butterflocken von dem Stück Butter ab, als Hughie ruft: »He, guckt doch mal!«
    Gretta legt das Messer hin.
    »Was ist denn los?«, fragt Michael Francis.
    »Guck mal, wer da kommt!«
    Gretta ist schon aus der Tür und läuft durch den Vorgarten. Am Gartentor hält sie an und legt die Hand an die Stirn. Jemand kommt über den Damm und betritt
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