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Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Titel: Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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sagt, er kommt jeden Tag, bleibt eine Weile und geht wieder. Ich weiß aber nicht, was ich davon halten soll. Was macht man da?«
    Monica versinkt wieder in Schweigen. Gretta wagt nicht, sie jetzt direkt anzusehen und spricht daher in ihrem bekümmerten Ton weiter. »Die Schwester, mit der ich gesprochen habe, meint, er käme morgen wieder, entweder morgens oder nachmittags.« Gretta runzelt die Stirn, denn sie erinnert sich nicht mehr, was die Schwester genau gesagt hatte. »Eines von beidem jedenfalls, morgens oder nachmittags. Wir können ja …«
    Monica feuert die Zeitschrift hin. »Glaub ja nicht, es wäre alles vergeben und vergessen.«
    Gretta aber ist schon über diese Reaktion froh und legt ihr Strickzeug hin. »Das glaube ich auch nicht«, sagt sie und hält den Kopf niedrig und die Hände demütig im Schoß. Sie erinnert sich vage an ein Gemälde, das sie einmal gesehen hat. Ein Bild von einer streng dreinblickenden Frau im Profil. Von einem schottischen Maler, sie müsste zu Hause einmal nachschlagen. Der Gedanke versetzt sie in kurzzeitige Erregung, denn sie liebt ihr Großes Familienlexikon, das sie einmal zum Vorzugspreis in diesem Laden bekommen hat – wegen leichter Wasserflecken am Einband. Band A bis M hat das meiste abgekriegt, bei N bis Z sieht man es so gut wie gar nicht. Nur wenn man ganz genau hinguckt – und wer tut das schon?
    »Ich kann dir das nicht verzeihen, niemals«, sagt Monica und ringt die Hände ganz wie früher als kleines Mädchen, wenn sie vergessen hatte, irgendetwas im Haushalt zu machen, obwohl ihre Mutter sie ausdrücklich darum gebeten hatte.
    War sie zu streng mit dem Kind gewesen? War das Kind deshalb so geworden, so ängstlich, so lebensunfroh, immer auf Sicherheit und Ordnung bedacht? War es alles Grettas Schuld? Doch was hätte sie anders machen können? Sie standen sich ja so nah, näher als nah, wie sie Bridie immer sagte, die bestimmt immer neidisch gewesen war, weil sie bloß zwei Jungs hatte.
    »Ich weiß, Schatz, und es tut mir auch leid. Es tut mir leid, dass ich dich enttäuscht habe, aber … ich weiß auch nicht … es ist alles so lange her, und so kurz nach dem Krieg, da hat man eben gedacht … und überhaupt … es waren merkwürdige Zeiten damals und …
    »Mir egal, wie merkwürdig die Zeiten waren. Du hättest uns nicht anlügen dürfen und immer nur so tun, als ob.«
    »Aber das weiß ich doch.« Gretta beugt ihr Haupt noch tiefer. »Es tut mir leid.«
    »Was würde der Pfarrer dazu sagen?«
    Die Angst kriecht in Grettas Herz und vertreibt alle Gedanken an Familienlexika und Erziehungsfragen. »Bitte, sag das nicht. Sprich nicht davon.«
    »Wieso nicht? Angenommen ich ginge zu ihm und würde ihm erzählen, dass ihr gar nicht verheiratet seid und wir im Grunde uneheliche Kinder sind. Schon mal überlegt, was er dazu sagen würde?«
    »Aber das würdest du doch nicht tun, oder? Bitte versprich mir, dass du das nicht tust, oder ich …«
    »Natürlich nicht«, seufzt Monika, selber irritiert über diese Möglichkeit. Sie lehnt sich nach hinten und verschränkt die Arme vor der Brust, guckt weg. »Aber was machen wir bloß mit Daddy?«
    Bei dem »wir« schöpft Gretta neue Kraft. Sie hebt den Kopf. »Erst einmal sind wir hier«, sagte sie. »Und er ist auch hier, und wir wissen das. Ich habe ihm im Kloster eine Nachricht hinterlassen. Also warten wir erst einmal ab. Vielleicht kommt er ja von selber. Und auf jeden Fall besuchen wir Frankie, es geht ihm so schlecht, das glaubst du nicht. Trotzdem, er gehört zur Familie, und wir dürfen ihn nicht …«
    »Ist das alles?«, erwidert Monica. »Wir sollen bloß abwarten?«
    »Was können wir sonst tun?«, fragt Gretta.
    Monica schlägt ein Bein über und wippt mit dem Fuß. Sie ist manchmal genau so hippelig wie Aoife, denkt Gretta. Dann steht Monica auf und tritt ans Fenster.
    »Wir könnten wenigstens einmal die Gardinen durchwaschen«, sagt sie und fasst sie prüfend an. »Meinst du nicht auch?«
    Gretta springt sofort hoch. »Stimmt. Ich darf gar nicht sagen, wann sie zuletzt ein Stück Seife gesehen haben.«
    Über den alten Pfad wandert Aoife auf den Rücken der Insel, steigt über eine Mauer und erklimmt die sandige Anhöhe bis zum Steilufer. Rechts von ihr erkennt sie menschliche Gestalten, guckt aber absichtlich weg. Was immer Michael Francis und Claire gerade besprechen, sie mag es nicht wissen.
    Hier oben regt sich kein Lüftchen. Ein annähernd kreisrunder Mond hat die Landschaft mit Gold
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